Entscheidungsstichwort (Thema)

Gesetzliche Unfallversicherung. Arbeitsunfall. Unfallbegriff. plötzlich ungewollte Einwirkung von außen. regelgerechte Verrichtung der betrieblichen Tätigkeit. Anheben einer 25 kg schweren Glasscheibe. distale Bizepssehnenruptur

 

Leitsatz (amtlich)

Ein Arbeitsunfall liegt nur vor, wenn das angeschuldigte Geschehen auch die Kriterien einer plötzlichen, ungewollten Einwirkung von außen erfüllt (hier: verneint beim Anheben einer 25 kg schweren Glasscheibe, bei dem sich ein Riss der distalen Bizepssehne ereignet).

Die bloße regelgerechte Verrichtung betrieblicher Tätigkeiten, bei denen eine Verletzung auftritt, kann nicht bereits als Unfall qualifiziert werden. Insbesondere kann ein vollständig vom Willen (mit Ausnahme des Eintritts der Verletzung) des Verletzten gesteuertes Geschehen nicht den Unfallbegriff erfüllen.

 

Tenor

1. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Konstanz vom 26.06.2008 wird zurückgewiesen.

2. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist die Anerkennung einer am 02.08.2006 erfolgten Verletzung des Klägers als Arbeitsunfall im Streit.

Der 1955 geborene Kläger erlitt am 02.08.2006 bei seiner Tätigkeit als Industriemeister für die Glas ... GmbH in Ravensburg eine Bizepssehnenruptur. Im Durchgangsarztbericht des Dr. R vom 02.08.2006 ist angegeben, dass der Kläger im Rahmen seiner Tätigkeit beim Hochheben einer schweren Glasscheibe einen plötzlichen, stechenden Schmerz im Bereich des rechten Oberarmes verspürt habe. Der Kläger habe einen distalen Bizepssehnenabriss [= Riss der vom Körper weiter entfernten kurzen Bizepssehne, welche anders als die lange körpernahe Bizepssehne aus einem einzelnen Strang besteht] rechts erlitten.

Aus einer Magnetresonanztomographie vom 09.08.2006 geht hervor, dass wahrscheinlich ein kompletter Abriss der Bizepssehne an der Tuberositas ulnae ohne Hinweis auf einen knöchernen Ausriss erfolgt sei. Am 11.08.2006 wurde deswegen im Städtischen Krankenhaus “14 Nothelfer„ in Weingarten eine Reinsertion der Bizepssehne in das Tuberkulum radii rechts vorgenommen. Der Kläger sei mit einer mindestens 14 Wochen lang zu tragenden Oberarmgipsschiene bei einem komplikationslosen postoperativen Verlauf entlassen worden.

Der Arbeitgeber gab zu dem Vorfall am 25.08.2006 an, dass das Geschehen sich in der Produktionshalle ereignet habe. Beim Anheben einer Glasscheibe von einem Transportgestell - die rechte Hand habe unten angefasst und die linke oben die Glasscheibe gehalten - sei die Sehne des rechten Bizepsmuskels gerissen. Diese Angaben bestätigte auch der Kläger in seiner Auskunft vom 21.08.2006. Er habe sofort mit der Arbeit aufgehört, da er brennende und ziehende Schmerzen verspürt habe. Seinen Arm habe er in Schutzhaltung positioniert und sofort seinen Arzt aufgesucht.

Mit Bescheid vom 05.09.2006 lehnte die Beklagte die Anerkennung des Ereignisses vom 02.08.2006 als Arbeitsunfall ab. Der Bizepssehnenabriss sei bei einem willentlichen, von außen unbeeinflussten Geschehensablauf ohne Fehlgängigkeit eingetreten. Die Muskulatur und das Skelettsystem seien so aufeinander abgestimmt, das ihr Zusammenwirken keines ihrer Teile beschädigen könne. Die Verletzung der Bizepssehne bei einem normalen Bewegungsablauf sei daher kein Unfall im Sinne des Gesetzes. Die berufliche Tätigkeit sei lediglich ein Anlassgeschehen gewesen. Hiervon machte die Beklagte auch Mitteilungen an die behandelnden Ärzte des Klägers. Bei der Krankenkasse des Klägers meldete die Beklagte vorsorglich einen Erstattungsanspruch an.

Mit Widerspruch vom 21.09.2006 machte der Kläger geltend, dass das Anheben einer Glasscheibe nicht zu seinen täglichen Arbeiten gehöre. Der Unfall sei unstreitig bei seiner Arbeit passiert und daher als Arbeitsunfall anzuerkennen. Zum Beheben eines Fehlers an der Glasscheibe sei es notwendig gewesen, die Scheibe umzustellen. Dabei habe er die Scheibe gegriffen und sie anheben wollen. Um die Scheibe (ein Parallelogramm) anzuheben, habe er den gestreckten rechten Arm nach außen drehen müssen, was keiner normalen Hebehaltung entspreche. Um die Scheibe dann in der Balance zu halten, sei eine zusätzliche seitliche Drehung von Arm und Handgelenk notwendig gewesen. Außerdem sei er gedanklich mehr bei der Fehlersuche an der Glasscheibe gewesen als sich auf das Anheben der Scheibe zu konzentrieren. Hierbei sei dann die Sehne gerissen.

Die Beklagte holte bei der Techniker Krankenkasse (TK) ein Vorerkrankungsverzeichnis des Klägers ein, aus welchem sich keine einschlägigen Vorerkrankungen ergaben. Außerdem forderte die Beklagte beim Krankenhaus Weingarten den Operationsbericht des Klägers an.

Mit Schreiben vom 09.11.2006 wies die Beklagte den Kläger dann darauf hin, dass ihrer Auffassung nach die Schädigung nur gelegentlich der ausgeübten Tätigkeit aufgetreten sei und nach menschlichem Ermessen auch bei jedem anderen ähnlich gelagerten Umstand außerhalb der Tätigkeit ohne besonderen Anlass ein Ausbruch hä...

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