Entscheidungsstichwort (Thema)

Rente wegen Erwerbsminderung. contergangeschädigter Versicherter. Eintritt des Versicherungsfalles. Erfüllung der besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen. Wartezeit von 20 Jahren

 

Leitsatz (amtlich)

1. In einem rentengewährenden Urteil hat das SG auch festzustellen, wann der Versicherungsfall/ Leistungsfall eingetreten ist.

2. War ein contergangeschädigter Versicherter mit extrem verkürzten Armen und nur drei bzw vier Fingern mit eingeschränkter Greiffunktion nie in der Lage, unter arbeitsmarktüblichen Bedingungen erwerbstätig zu sein, steht ihm ein Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung nur unter den besonderen Voraussetzungen des § 43 Abs 6 SGB 6 zu.

 

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 23. November 2009 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob dem Kläger aufgrund seines Rentenantrags vom 12. November 2007 gegen die Beklagte einen Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung zusteht.

Der am … 1961 geborene Kläger ist deutscher Staatsangehöriger, er ist verheiratet. Von Geburt an leidet er an einer conterganbedingten Fehlbildung beider oberer Extremitäten mit Hypoplasie mehrerer Röhrenknochen (stark verkürzte Arme mit nur rudimentär angelegten Schulter-, Ellenbogen- und Handgelenken beidseits mit nur drei bzw. vier Fingern und reduzierter Greiffunktion). Ihm ist ein Grad der Behinderung von 100 sowie die Merkzeichen H und G zuerkannt.

Nach Abschluss der Hauptschule absolvierte er bis vom 27. September 1978 bis zum 29. Juni 1991 eine schulische Ausbildung zum Nachrichtengerätemechaniker; anschließend war der Kläger arbeitslos. Vom 1. Juli 1982 bis zum 31. Oktober 1982 war der Kläger dann als Telefonist/ Schreibkraft beschäftigt und anschließend erneut arbeitslos. Vom 12. März 1984 bis zum 14. April 1986 absolvierte der Kläger eine schulische Umschulung/ Fortbildung zum Informationselektroniker. Nach einer erneuten Arbeitslosigkeit bis 30. Juni 1997 war der Kläger im Rahmen eines Behindertenprogramms befristet vom 1. Juli 1997 bis zum 7. August 1999 bei Siemens versicherungspflichtig beschäftigt. Er war mit der Prüfung und Fehlersuche auf Baugruppen der elektronischen Vermittlung betraut. In der Folge war der Kläger arbeitslos, lediglich im Jahr 2007 war der Kläger im Rahmen eines Ein-Euro-Jobs stundenweise (vormittags und nachmittags jeweils eine Stunde) als Beifahrer bei einem Schülertransport des ASB eingesetzt. Gelegentlich half der Kläger an einer Minigolfanlage stundenweise aus. Zuletzt bezog der Kläger Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende.

Vom 23. Februar 1999 bis zum 30. März 1999 befand sich der Kläger auf Kosten der Beklagten in einer stationären medizinischen Rehabilitation in der Rehabilitationsklinik Sonnenhalde in Donaueschingen. Der Entlassungsbericht vom 6. April 1999 teilt mit, der Kläger klage weiterhin über fehlende Ausdauerbelastbarkeit. Deshalb sei er für weitere Zeit arbeitsunfähig entlassen worden. Trotz erheblicher Körperbehinderung bestehe aber ein Restleistungsprofil mit entsprechender behindertengerechter Qualifikation. Der Kläger könne vollschichtig leichte körperliche Tätigkeiten durchführen ohne Anforderungen an die Hände, ohne Hebe-/Tragebelastung, nicht in häufig stehender sowie in häufig gebückter Haltung.

Ein Gutachten des MDK vom 23. November 1999 führt u.a. aus, dass beide Arme und Hände praktisch nicht funktionsfähig seien. Eine Vermittlung in eine Arbeit mit wirtschaftlichem Wert sei nicht möglich. Eine frühere (vollschichtige) Leistungseinschätzung werde revidiert.

Einen Rentenantrag vom 22. April 1999 lehnte die Beklagte unter Hinweis darauf, dass die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen einer Rente wegen Erwerbs- und Berufsunfähigkeit nicht erfüllt seien, mit Bescheid vom 6. Oktober 1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 9. März 2000 ab.

Vom 30. Mai 2000 bis zum 16. Juni 2000 gewährte die Beklagte dem Kläger eine Berufsfindung und Arbeitserprobung im BfW Heidelberg. Der Abschlussbericht vom 3. Juli 2000 führt aus, dass aufgrund der behinderungsbedingten Einschränkungen berufsrehabilitative Maßnahmen im Sinne einer Weiterbildung nicht möglich seien. Trotz Einsatzes technischer Hilfsmittel habe der Kläger den Erprobungstag nicht bzw. nur mit häufigen Entlastungspausen durchgehalten. Die diskutierten Berufe im Bereich Wirtschaft und Verwaltung auf Kammerebene sowie der Beruf des Fachinformatikers und Mediengestalters für Digital- und Printmedien seien nicht erfolgsversprechend. Auch eine Weiterbildung zum Jugend- und Heimerzieher sei nicht behinderungsadäquat. Es könnten daher keine konkreten Vorschläge zur beruflichen Wiedereingliederung gegeben werden. Aufgrund der bestehenden Gelenk- und Rückenbeschwerden und der damit verbundenen Schmerzsymptomatik sei auch eine leidensgerechte Einarbeitung bzw. Anlernung...

Dieser Inhalt ist unter anderem im SGB Office Professional enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge