Entscheidungsstichwort (Thema)
Pflicht zur Beschäftigung von schwerbehinderten Menschen. Berechnung der Ausgleichsabgabe. Anzeigepflicht. Anzahl der Arbeitnehmer. Arbeitsplatz im Inland. ausländischer Arbeitgeber. Entsendung von Arbeitnehmern. unselbständige Zweigniederlassung im Inland. Mittelpunkt der Geschäftstätigkeit im Ausland
Orientierungssatz
Ein ausländischer Arbeitgeber, der im Inland nur über eine unselbständige Zweigniederlassung verfügt und seine Arbeitnehmer nur zur Erfüllung der werkvertraglichen Pflichten nach Deutschland entsendet, verfügt über keine Arbeitsplätze im Inland und unterliegt nicht der Beschäftigungspflicht gem § 71 Abs 1 SGB 9. Eine Verpflichtung gem § 80 Abs 2 SGB 9, die Daten anzuzeigen, die zur Berechnung des Umfangs der Beschäftigungspflicht notwendig sind, besteht somit nicht.
Nachgehend
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 20.06.2017 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte trägt auch die Kosten des Berufungsverfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen, die dieser selbst zu tragen hat.
Die Revision wird zugelassen.
Der Streitwert wird auf 5.000 € festgesetzt.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Klägerin (und Berufungsbeklagte) verpflichtet war, Daten anzuzeigen, die erforderlich waren zur Berechnung des Umfangs der Pflicht, schwerbehinderte Menschen zu beschäftigen.
Die Klägerin ist ein polnisches Unternehmen im Bereich der Baubranche. Der Hauptsitz der Klägerin befindet sich in N. S. in Polen. Die Klägerin verfügt über eine Zweigniederlassung im Sinne der §§ 13 ff. Handelsgesetzbuch (HGB) in D. Sie schließt mit Unternehmen u.a. in Deutschland Werkverträge und entsendet zur Erfüllung dieser Verträge Arbeitnehmer nach Deutschland. Die Arbeitnehmer sind gemäß ihren Arbeitsverträgen am Hauptsitz in Polen beschäftigt und werden dann nach Deutschland entsandt (§ 1). Nach § 4 des Arbeitsvertrages werden Sozialversicherungsbeiträge und Lohnsteuer nach den in Deutschland geltenden Vorschriften entrichtet. Lediglich Streitigkeiten im Zusammenhang mit der auswärtigen Berufstätigkeit in Deutschland werden nach § 7 dem für den Ort der Arbeitsleistung zuständigen Gericht unterstellt (zu den Einzelheiten vgl. Bl. 43-47 der SG-Akte).
Die Beklagte teilte der Klägerin mit Bescheid vom 16.12.2014 mit, dass eine Anzeigepflicht gemäß § 80 Abs. 2 i.V.m. § 71 Abs. 1 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) bestehe und die Klägerin dieser Anzeigepflicht bisher noch nicht nachgekommen sei. Da bisher keine Daten übermittelt worden seien, gehe die Beklagte davon aus, dass die Klägerin keine anrechenbaren Schwerbehinderten, ihnen gleichgestellte Menschen oder sonstige anrechnungsfähige Personen beschäftige.
Mit weiterem Schreiben vom 16.12.2014 teilte die Beklagte mit, dass die Anzeigepflicht für Arbeitgeber bestehe, soweit sie ihren Sitz im Inland hätten, ebenso für inländische Zweigniederlassungen ausländischer Betriebe.
Dagegen erhob die Klägerin mit Schreiben vom 09.01.2015 Widerspruch. Entgegen den Feststellungen der Beklagten sei die Klägerin als ausländische Arbeitgeberin, welche Arbeitnehmer nach polnischem Recht in Polen beschäftige und nach Deutschland entsende, nicht verpflichtet, Auskünfte zu erteilen und insbesondere nicht verpflichtet, Ausgleichsabgaben abzuführen, da sie diese bereits in Polen an die polnische Behörde, den staatlichen Fonds zur Rehabilitation Behinderter (P. F. R. O. N. (x.)) abführe. Die Bestimmungen des Dritten Kapitels SGB IX fänden auf die Klägerin keine Anwendungen, da ein ausländischer Arbeitgeber, der keine Arbeitsplätze im Bundesgebiet errichte, nicht in den Anwendungsbereich des Gesetzes falle. Zusammen mit dem Widerspruchsbescheid legte die Klägerin einen Anstellungsvertrag eines Arbeitnehmers (in polnischer Sprache mit deutscher Übersetzung) sowie eine Unbedenklichkeitsbescheinigung bzw. eine Bescheinigung des X. über die Erfüllung der Zahlungspflicht in Polen vor.
Mit Widerspruchsbescheid vom 20.07.2015 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Es bleibe dabei, dass die Anzeigenpflicht gemäß § 80 Abs. 2 des SGB IX bezüglich des Kalenderjahres 2013 gegenüber der Klägerin bestehe. Nach § 71 SGB IX hätten private und öffentliche Arbeitgeber mit jahresdurchschnittlich monatlich mindestens 20 Arbeitsplätzen im Sinne des § 73 SGB IX auf wenigstens 5 % der Arbeitsplätze schwerbehinderte Menschen zu beschäftigen. Arbeitsplätze seien nach § 73 Abs. 1 SGB IX alle Stellen, auf denen Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen (..) beschäftigt würden. Adressat der Pflicht, Schwerbehinderte zu beschäftigen, sei somit derjenige Arbeitgeber, der aufgrund arbeitsvertraglicher Verpflichtung Arbeitsplätze im Geltungsbereich des SGB IX zur Verfügung stelle. Die Klägerin habe selbst vorgetragen, dass die polnischen Arbeitnehmer ausschließlich auf Arbeitsplätzen in Deutschland beschäftigt würden. Dass die Arbeitsverträge in Polen geschlossen würd...