Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitslosengeld II. Unterkunft und Heizung. Sonderregelung aus Anlass der COVID-19-Pandemie. Angemessenheitsfiktion. Nichtanwendbarkeit auf während der Pandemie neu angemieteten Wohnraum
Orientierungssatz
Zur Nichtanwendbarkeit der Angemessenheitsfiktion des § 67 Abs 3 S 1 SGB 2, wenn der Leistungsberechtigte innerhalb des in § 67 Abs 1 SGB 2 geregelten Zeitraums in eine teurere Wohnung außerhalb des Zuständigkeitsbereichs des bisherigen Grundsicherungsträgers ohne Zusicherung umzieht.
Nachgehend
Tenor
Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 1. Dezember 2021 aufgehoben, soweit der Beklagte verurteilt wurde, den Klägern Kosten der Unterkunft und Heizung über die Beträge von jeweils 652,65 € in den Monaten Februar bis April 2021, 738,94 € im Mai 2021 und jeweils 781,71 € in den Monaten Juni und Juli 2021 zu gewähren. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen und die Klage abgewiesen.
Der Beklagte hat 1/8 der außergerichtlichen Kosten der Kläger für beide Rechtszüge zu erstatten.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Gewährung von höheren Kosten der Unterkunft (KdU) nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für die Zeit vom 1. Februar bis 31. Juli 2021.
Die Kläger zu 1) und 2) sind miteinander verheiratet. Sie wohnten zunächst in B und bezogen vom Jobcenter B1 seit 1. August 2020 Leistungen nach dem SGB II. Ihre damals anfallenden Kosten der Unterkunft (KdU) i.H. v. insgesamt 650 € wurden dabei vollständig übernommen.
Zum 1. Februar 2021 zogen die Kläger zu 1) und 2) in den Zuständigkeitsbereich des Beklagten. Zu diesem Zeitpunkt war die Klägerin zu 2) schwanger. Für ihre Mietwohnung im K in B2, zu der laut Mietvertrag zwei Stellplätze gehören, beträgt die monatliche Grundmiete 710 € zuzüglich einer Stellplatzmiete i.H.v. 40 € sowie eine Nebenkostenvorauszahlung i.H.v. 250 €. entrichten. Eine Zusicherung zur Übernahme dieser Kosten wurde vom Beklagten nicht erteilt.
Die Kläger zu 1) und 2) hatten bereits am 20. Januar 2021 beim Beklagten Leistungen nach dem SGB II beantragt. Mit Bescheid vom 9. Februar 2021 bewilligte der Beklagte Leistungen nach dem SGB II für die Zeit vom 1. Februar bis 31. Juli 2021 und berücksichtigte dabei nur die seiner Ansicht nach angemessenen monatlichen KdU i.H.v. insgesamt 598,06 €. Den hiergegen von den Klägern eingelegten Widerspruch wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 8. März 2021 zurück.
Dagegen haben die Kläger am 16. März 2021 Klage zum Sozialgericht Freiburg (SG) erhoben und am 29. März 2021 gleichzeitig die Gewährung von einstweiligem Rechtsschutz beantragt (S 22 AS 1018/21 ER). Mit Beschluss vom 14. April 2021 hat das SG den Beklagten im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, den Klägerin für die Zeit vom 1. April bis 31.Juli 2021 - längstens bis zur Bestandskraft des Bescheides vom 9. Februar 2021 - die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts unter Berücksichtigung der tatsächlichen Aufwendungen für die Unterkunft und Heizung vorläufig zu gewähren. Daraufhin hat der Beklagte den Klägern mit Änderungsbescheid vom 16. April 2021 in Ausführung des Beschlusses vom 14. April 2021 Leistungen nach dem SGB II unter Berücksichtigung der tatsächlichen KdU ab April 2021 (in Höhe von 960 € monatlich) bewilligt. Auf die Beschwerde des Beklagten hat das LSG Baden-Württemberg (L 13 AS 1326/21 ER-B) zunächst mit Beschluss vom 30. April 2021 die Vollstreckung aus dem Beschluss des SG vom 14. April 2021 ausgesetzt. Daraufhin hat der Beklagte mit weiterem Änderungsbescheid vom 4. Mai 2021 ab Juni 2021 KdU in Höhe von insgesamt 777,96 € (Bruttokaltmiete 675,40 € + Heizkosten 102,56 €) bewilligt. Mit Beschluss vom 10. Mai 2021 hat das LSG den Beschluss des SG vom 14. April 2021 mangels Anordnungsgrundes aufgehoben und den Eilantrag der Kläger abgelehnt.
Am 17. Mai 2021 brachte die Klägerin zu 2) ihren Sohn H, den Kläger zu 3), zur Welt. Daraufhin nahm der Beklagte mit Bescheid vom 5. Juli 2021 den Kläger zu 3.) in die Bedarfsgemeinschaft auf und bewilligte den Klägern Leistungen nach dem SGB II für die Zeit vom 1. Februar bis 21. Juli 2021 unter unveränderter Berücksichtigung der Kosten der Unterkunft.
Hiergegen legte der Kläger zu 3) vertreten durch seinen Bevollmächtigten Widerspruch ein, den der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 3. August 2021 zurückwies.
Dagegen hat der Kläger zu 3) am 5. August 2021 Klage zum SG erhoben, die zunächst unter dem Aktenzeichen S 21 AS 2415/21 geführt wurde und mit Beschluss des SG vom 13. Oktober 2021 mit dem Verfahren S 22 AS 886/21 zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden wurde.
Die Kläger haben vorgebracht, ihnen stünden gemäß § 67 Abs.3 S.1 SGB II die tatsächlichen KdU zu. Die Voraussetzungen des § 67 Abs. 3 S. 1 SGB II seien erfüllt. Der Anwendung dieser Vorschrift stehe nicht entgegen, dass zuvor ein Umzug stattgefunden habe.
Der Beklagte ist der Klage en...