Entscheidungsstichwort (Thema)

Widerruf bzw Anfechtung einer Klagerücknahme

 

Orientierungssatz

Die Widerruf oder die Anfechtung einer Klagerücknahme ist nur dann möglich, wenn die Voraussetzungen für eine Wiederaufnahme des Verfahrens nach den §§ 179, 180 SGG vorliegen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die Gewährung von Versichertenrente wegen Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit, die Gewährung medizinischer Leistungen zur Rehabilitation sowie darüber, ob die Klägerin die deswegen zum Sozialgericht (SG) Karlsruhe (S 8 RJ 3186/94) erhobenen Klagen wirksam zurückgenommen hat.

Die 1941 geborene Klägerin siedelte am 14.02.1959 aus Polen in die Bundesrepublik über. Sie hat keinen Beruf erlernt und war im Bundesgebiet ab dem 19.08.1959 bis zum 23.06.1981 - mit Unterbrechungen - als Näherin und Arbeiterin sowie - zuletzt - als Putzfrau versicherungspflichtig beschäftigt. Seither ist sie arbeitslos und bezieht Arbeitslosengeld bzw. Arbeitslosenhilfe.

Am 09.11.1993 stellte sie bei der Beklagten den Antrag, ihre Versichertenrente wegen Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit zu gewähren. Diesen Antrag lehnte die Beklagte nach medizinischer Sachaufklärung (Gutachten des Internisten L., des Neurologen und Psychiaters Dr. F. und des Chirurgen Dr. W.) ab (Bescheid vom 27.04.1994, Widerspruchsbescheid vom 21.10.1994). Deswegen erhob die Klägerin, vertreten durch Rechtsanwalt L., am 28.11.1994 Klage zum SG (S 8 RJ 3186/94).

Bereits am 25. 10.1993 hatte die Klägerin bei der Beklagten den Antrag gestellt, ihr medizinische Leistungen zur Rehabilitation zu gewähren. Dieser Antrag blieb erfolglos (Bescheid vom 17.05.1994, Widerspruchsbescheid vom 06.12.1994). Deswegen erhob die Klägerin - ebenfalls vertreten durch Rechtsanwalt L. - am 12.01.1995 Klage zum SG (S 8 RJ 88/95).

Durch Beschluß vom 13.07.1995 verband das SG beide Rechtsstreitigkeiten zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung. Nachfolgend erhob das SG Beweis u.a. durch Einholung der Sachverständigengutachten des Nervenarztes Dr. W., des Internisten Dr. L. mit ergänzenden Stellungnahmen und des Orthopäden Dr. M. mit ergänzender Stellungnahme. Mit Schreiben vom 09.01.1998 ernannte das SG den Neurologen und Psychiater Prof. Dr. B. zum gerichtlichen Sachverständigen und beauftragte diesen mit der Erstellung eines weiteren Gutachtens von Amts wegen. Prof. Dr. B. bat die Klägerin mit Schreiben vom 21.01.1998, sich zur Erstattung des Gutachtens bei ihm im Zentrum für Psychiatrie W., Station 37, am Donnerstag, dem 05.02.1998, gegen 9.00 Uhr vorzustellen.

Am 27.01.1998 übergab E. H., die Schwester der Klägerin, dem SG das von der Klägerin unterzeichnete Schreiben vom 24.01.1998 mit folgendem Wortlaut:

Betreff: Sozialgericht - Geschäftsstelle - Nr: S 8 J 3186/94

Hiermit bevollmächtige ich meine Schwester Frau E. H., die Klage und das gesamte Anliegen dort dringend zu beenden.

Meine Schwester hat diesen Sachverhalt bereits in 1997 dem Anwalt vorgetragen ist nichts geschehen!

Mit freundlichen Grüßen

Unterschrift: R. L.".

Ferner übergab Frau H. das von ihr am 26.01.1998 unterzeichnete, an das SG adressierte Schreiben mit folgendem Inhalt:

"Rechtssache R. L. gegen LVA Baden Ihr Az.: S 8 J 3186/94

Erklärung

In dem vorgenannten Rechtsstreit nehme ich die Klage zurück".

Am 28.01.1998 erklärte die Klägerin gegenüber dem SG telefonisch, sie sei nun doch bereit, sich von Prof. Dr. B. begutachten zu lassen. Das Klageverfahren, das ihre Schwester am 27.01.1998 für sie zurückgenommen habe, möge fortgeführt werden.

Mit Verfügung vom 28.01.1998 teilte das SG den Beteiligten mit, der Rechtsstreit sei am 28.01.1998 durch Rücknahme erledigt.

Mit Schriftsatz vom 03.02.1998, beim SG am 04.02.1998 eingegangen, beantragte Rechtsanwalt L. für die Klägerin die Fortsetzung des Klageverfahrens S 8 RJ 3186/94. Zur Begründung trug er im wesentlichen vor, die Klägerin habe die Klage nicht zurücknehmen, sich vielmehr allein gegen eine Untersuchung in W. wenden wollen. Sie sei hiervon zutiefst betroffen gewesen. Sie habe eine von ihrer Schwester entworfene Vollmacht unterzeichnet; dabei sei ihr die Möglichkeit einer Klagerücknahme durch ihre Schwester nicht bewußt gewesen. Sie habe dies ihrer Schwester auch gesagt, nachdem sie von deren Klagerücknahme erfahren habe. Möglicherweise sei sie - die Klägerin - auch - wenigstens zeitweise - geschäftsunfähig gewesen; diesen Umstand habe das SG von Amts wegen prüfen müssen. Eine wirksame Klagerücknahme liege deshalb nicht vor.

Durch Gerichtsbescheid vom 23.11.1998 stellte das SG fest, der Rechtsstreit S 8 RJ 3186/94 sei durch Klagerücknahme erledigt.

Hiergegen richtet sich die am 08.12.1998 eingelegte Berufung der Klägerin, mit der sie ihre Begehren weiterverfolgt. Zur Begründung trägt sie - neben der Wiederholung ihres bisherigen Vorbringens - im wesentlichen vor, schon der Wortlaut der Vollmachtsurkunde vom 24.01.1998 habe ihre Schwester nicht zur Klagerücknahme ermächtigt. Ein Verfahren "beenden" heiße keinesfalls, die Klage zurückzunehmen.

Die Klägerin beantragt - teilwei...

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