Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. rechtsmissbräuchlicher Antrag auf Einholung eines erneuten Gutachtens desselben Gutachters gem § 109 SGG. Zugunstenverfahren gem § 44 SGB 10. identische Sach- und Rechtslage des früheren Verfahrens. verbrauchtes Antragsrecht. Feststellung einer Berufskrankheit
Leitsatz (amtlich)
Ein Antrag nach § 109 SGG in einem Zugunstenverfahren nach § 44 SGB X ist rechtsmissbräuchlich, wenn im früheren Rechtsstreit derselbe Sachverständige bereits ein Gutachten nach § 109 SGG erstattete.
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgericht Mannheim vom 25.09.2015 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger begehrt im Wege eines Überprüfungsverfahrens die Feststellung einer Berufskrankheit (BK) nach Nr. 2301 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung (BKV) sowie die Gewährung von Übergangsleistungen und Verletztenrente.
Der am 1961 geborene Kläger arbeitete nach seiner Ausbildung zum Bäcker (1976 bis 1979) bis 1981 im erlernten Beruf. Im Anschluss an den nachgeholten Realschulabschluss arbeitete er ab 1983 für die Firma G. (künftig Arbeitgeber), zunächst im Labor-, Forschungs- und Entwicklungsbereich, ab Februar 1987 dann als Konfektionierer am Schneidwerk im Produktionsbereich (vgl. Angaben des Klägers im Fragebogen vom 31.08.2009, Bl. 7 Verwaltungsakte - VA -). Seit einem Unfall im August 2010 ist der Kläger arbeitsunfähig.
Im Juli 2009 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Anerkennung einer BK. Er trug vor, an seinem Arbeitsplatz werde Blattgelatine produziert. Durch das Abziehen der einzelnen Gelatine-Bahnen vom Nylonnetz entstehe ein „bratzelnder“ Lärm. Der Kläger gab weiterhin an, als Schutzmaßnahme bestehe eine Plexiglasscheibe zur Schalldämmung. Im Rahmen ihrer Ermittlungen befragte die Beklagte die behandelnden Ärzte. Die HNO-Ärztin Dr. A.-W. berichtete von einer Schallempfindungsschwerhörigkeit mit Tinnitus beidseits und teilte mit, der Kläger habe ihr gegenüber angegeben, im Lärm zu arbeiten, dabei jedoch konsequent Gehörschutzkapseln zu tragen (vgl. Bl. 17 VA). Der HNO-Arzt Dr. S. berichtete von einer Hochtoninnenohrschwerhörigkeit rechts, einer pancochleären Schwerhörigkeit links mit Hochtonverlust sowie einem Tinnitus aurium beidseits; die Ursache sei jeweils unklar (vgl. Bl. 19 VA). Der Arbeitsgeber teilte mit, der Kläger sei an seinem Arbeitsplatz als Konfektionierer im Bereich des Schneidwerks seit Februar 1987 bis auf Weiteres keinen Lärmeinwirkungen von 85 dB ausgesetzt gewesen; vielmehr habe der Beurteilungspegel 82 dB betragen. Er verwies hierzu auf einen Messbericht der vormaligen BG Chemie vom Juli 1996 (Bl. 33 ff. VA) sowie einem Lärmmessbericht vom Oktober 2003 des Ingenieurbüros G., welchen der Arbeitgeber veranlasst hatte (Bl. 42 ff. VA). Die Beklagte veranlasste weiterhin eine eigene Lärmermittlung durch den Geschäftsbereich Prävention (Bl. 48 ff. VA). Dieser ermittelte auf Grund von Messungen im März 2010 am Dünnblatttrockner, unmittelbar am Schneidwerk bei geöffneter Abdeckung, einen Tages-Lärmexpositionspegel von 85,1 dB (A) sowie bei geschlossener Abdeckung von 80,1 dB (A). Die weiteren Messorte am Dünnblatttrockner lagen unter 80 dB (A). Im März 2010 erstattete Dr. B. , HNO-Facharzt, eine Anzeige wegen des Verdachts einer BK-Lärmschwerhörigkeit unter Beifügung eines Hörtests (vgl. Bl. 57 f. VA). Mit Bescheid vom 13.04.2010 ( Bl. 55 VA) und Widerspruchsbescheid vom 07.10.2010 (Bl. 79 ff VA) lehnte die Beklagte die Feststellung einer BK ab, nachdem keine andauernde Lärmeinwirkung mit einem Beurteilungsschallpegel von mindestens 85 dB bestanden habe.
Im sich hieran anschließenden Klageverfahren vor dem Sozialgericht Mannheim (Az.: S 2 U 4081/10) holte das Sozialgericht ein Gutachten von Amts wegen bei Dr. Z. , Facharzt für Hals-, Nasen-, und Ohren-Heilkunde, ein, der bei dem Kläger, gestützt auf eine ambulante Untersuchung im Juni 2011, eine hochgradige Schwerhörigkeit beidseits mit besonderer Beteiligung des Tieftonbereichs sowie einen Tinnitus im tiefen und höheren Frequenzbereich diagnostizierte. Der Hörschwellenverlauf, die Hörschwellenkonfiguration sowie ggf. die messtechnischen Daten durch den TAD würden gegen die Wahrscheinlichkeit einer berufsbedingten Verursachung dieser Gesundheitsstörungen sprechen. Die Progredienz der Hörverminderung vor allem im tiefen und mittleren Frequenzbereich spreche vielmehr für eine anlagebedingte, endogene Veränderung.
Mit Gerichtsbescheid vom 26.11.2012 wies das Sozialgericht die Klage ab. Im sich anschließenden Berufungsverfahren vor dem Landessozialgericht Baden-Württemberg (Az.: L 10 U 5379/12) holte der Senat auf Antrag und Kostenrisiko des Klägers gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ein Gutachten bei Prof. Dr. R. , Leiter des Zentrums für Musikermedizin am Universitätsklinikum F. , ein, der - beruhend u. a. auf einer Untersuchung des Klägers im Oktober...