Entscheidungsstichwort (Thema)

Schwerbehindertenrecht. GdB-Feststellung. Versorgungsmedizinische Grundsätze. psychische Störung. schwere psychosomatische Schmerzerkrankung. Therapie keine Voraussetzung für Zuerkennung einer stärker behindernden Störung. fehlende Behandlungseinsicht

 

Leitsatz (amtlich)

Während bei leichteren psychischen Störungen eine nicht stattfindende Therapie ein Hinweis für fehlenden Leidensdruck sein kann, spricht dieser Umstand bei schwereren Störungen eher für fehlende Krankheits- und Behandlungseinsicht. Denn es ist häufig zu beobachten, dass, je schwerer die Störung ist, desto weniger Therapie stattfindet. Ein fehlender Leidensdruck mit Indizwirkung für das Ausmaß der gesundheitlichen Beeinträchtigung kann aus der fehlenden psychiatrischen oder psychotherapeutischen Behandlung in diesem Falle nicht abgeleitet werden.

 

Tenor

Auf die Berufung des Beklagten wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Konstanz vom 24.05.2019 insoweit aufgehoben, als darin der Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 15.04.2014 in der Gestalt des Teilabhilfebescheides vom 07.01.2016, beide in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 04.03.2016, verurteilt worden ist, beim Kläger ab dem 10.04.2014 einen Grad der Behinderung von über 40 anzuerkennen. In diesem Umfang wird die Klage abgewiesen.

Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

Der Beklagte hat dem Kläger 1/3 der außergerichtlichen Kosten im Klage- und Berufungsverfahren zu erstatten.

 

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist die Höhe des Grades der Behinderung (GdB) streitig.

Der 1962 geborene Kläger beantragte erstmalig am 10.04.2014 die Feststellung eines GdB. Zu den Akten gelangte unter anderem ein Reha-Entlassungsbericht der Klinik S. vom 19.03.2014 mit den Diagnosen einer atherosklerotischen Herzkrankheit: Ein-Gefäß-Erkrankung, dem Vorhandensein eines Stents, einer gemischten Hyperlipidämie sowie einer essenziellen Hypertonie. In der hierzu eingeholten versorgungsmedizinischen Stellungnahme wurde die koronare Herzkrankheit mit Stentimplantation mit einem Einzel-GdB von 10, zugleich auch der Gesamt-GdB, bewertet. Daraufhin lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 15.04.2014 den Antrag auf Feststellung eines GdB ab, da die beim Kläger festgestellten Gesundheitsstörungen keinen GdB von wenigstens 20 bedingen würden.

Im anschließenden Widerspruchsverfahren zog der Beklagte unter anderem folgende ärztliche Unterlagen bei: den Entlassungsbericht der Fachkliniken W. vom 19.05.2015, in welchem unter anderem der Verdacht auf eine manifestierte Herzneurose geäußert worden ist; den Arztbrief des Dr. D., Arzt für Innere Medizin und Kardiologie, vom 03.07.2015, in welchem dieser über einen aktuell geringen linksventrikulären Schaden (Ejektionsfraktion ca. 44 %) nach subakutem Vorderwandinfarkt Januar 2014 und eine hypertensive Herzerkrankung mit geringer konzentrischer Linksherzhypertrophie berichtet hat; den Arztbrief der O.-klinik, Abteilung für Kardiologie und internistische Intensivmedizin, vom 03.11.2015, in welchem neuerlich über eine gering eingeschränkte linksventrikuläre Funktion und geringe konzentrische Hypertrophie berichtet worden ist und angesichts einer fehlenden fassbaren somatischen Erklärung für die vom Kläger beklagten Beschwerden empfohlen worden ist, den psychosomatischen Aspekt zumindest parallel dringend weiterzuverfolgen.

Hierauf gestützt bewertete der Versorgungsarzt Dr. Z. in seiner Stellungnahme vom Dezember 2015 den GdB für die koronare Herzkrankheit mit Stentimplantation und Bluthochdruck mit 20. Der Beklagte erließ daraufhin den Teil-Abhilfebescheid vom 07.01.2016, mit dem der GdB seit 10.04.2014 mit 20 festgestellt wurde und wies mit Widerspruchsbescheid vom 04.03.2016 den darüber hinaus gehenden Widerspruch als unbegründet zurück.

Hiergegen hat der Kläger am 05.04.2016 Klage beim Sozialgericht Konstanz (SG) erhoben, mit der er einen höheren GdB geltend gemacht hat.

Das SG hat den Reha-Entlassungsbericht der Klinik H. vom 07.07.2016 über die dortige stationäre Heilbehandlung im Juni 2016 mit den Diagnosen (unter anderem) einer koronaren Ein-Gefäß-Erkrankung, einer Somatisierungsstörung und einer mittelgradigen depressiven Episode und Verbitterung beigezogen.

Der Kläger hat das im Auftrage der Deutschen Rentenversicherung Baden-Württemberg am 24.08.2016 nach ambulanter Untersuchung am selben Tag erstattete Gutachten des Facharztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. Ha. vorgelegt. Dieser hat eine chronifizierte, langanhaltende, mindestens mittelgradige depressive Episode mit somatischem Syndrom, eine Verbitterungsstörung im Sinne einer Anpassungsstörung und eine Somatisierungsstörung diagnostiziert und beim Kläger ein auch für leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes unter 3 Stunden liegendes Leistungsvermögen angenommen.

Das SG hat weiterhin die den Kläger behandelnden Ärzte als sachverständige Zeugen schriftlich vernommen.

Die Internistin und Lungenfachärztin Dr. R. hat in ihrer Stellungnahme vom 05.10.2016 auf ihrem Fachgebiet r...

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