Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitslosengeld II. Unterkunft und Heizung. Kosten für einen Tiefgaragenstellplatz. Bestandteil eines einheitlichen Mietverhältnisses. Angemessenheit der Gesamtmiete. sozialrechtliches Verwaltungsverfahren. Überprüfungsverfahren. Antrag bereits vor dem Entstehen einer von der Auslegung des Leistungsträgers abweichenden ständigen Rechtsprechung. Übertragbarkeit der BSG-Rechtsprechung zu § 330 Abs 1 Alt 2 SGB 3
Leitsatz (amtlich)
1. Aufwendungen für einen Stellplatz oder eine Garage sind als Bedarf für die Unterkunft und Heizung anzuerkennen, wenn Wohnung und Stellplatz Bestandteile eines einheitlichen Mietverhältnisses sind und die Gesamtmiete angemessen ist (vgl BSG vom 19.5.2021 - B 14 AS 39/20 R = SozR 4-4200 § 22 Nr 117).
2. Die Rechtsprechung des BSG, wonach die zeitliche Einschränkung des § 330 Abs 1 Alt 2 SGB III nicht gilt, wenn das Überprüfungsverfahren nach § 44 SGB X schon vor der Entstehung der ständigen Rechtsprechung in Gang gesetzt worden ist (vgl BSG vom 8.2.2007 - B 7a AL 2/06 R = SozR 4-4300 § 330 Nr 4), ist auf § 40 Abs 3 S 1 Nr 2 SGB II übertragbar. Denn beide Vorschriften dienen der Gewährleistung von Rechtssicherheit unter Berücksichtigung der besonderen Verhältnisse einer Massenverwaltung.
Tenor
Das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 14.07.2023 wird aufgehoben.
Der Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheids vom 08.07.2021 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 27.10.2021 verurteilt, den Bescheid vom 20.10.2020 zurückzunehmen und den Klägerinnen und dem Kläger im Zeitraum vom 01.09.2019 bis 29.02.2020 weitere Leistungen nach dem SGB II in Höhe von monatlich insgesamt 45 € zu gewähren.
Der Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten beider Rechtszüge.
Tatbestand
Die Klägerinnen und der Kläger begehren im Wege eines Zugunstenverfahrens nach § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) höhere Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für den Zeitraum vom 01.09.2019 bis 29.02.2020.
Die 1972 geborene Klägerin zu 1 lebte im streitgegenständlichen Zeitraum mit ihren 3 Kindern, der im Dezember 1997 geborenen Klägerin zu 2, dem im Juli 1999 geborenen Kläger zu 3 und der im Juni 2007 geborenen Klägerin zu 4 in der gemeinsamen Wohnung in der G1-Str. Die von der Vermieterin, der F1 S1 GmbH, geltend gemachte Miete belief sich im streitgegenständlichen Zeitraum auf monatlich 930,62 € (Grundmiete Wohnung: 838,23 € abzüglich Nachlassforderung 276,61 € zuzüglich Garagenzuschlag: 45 €; zuzüglich Betriebskostenvorauszahlungen 324 €; letztere unterteilt in: Warmnebenkostenvorauszahlung; 74,52 €, Kaltnebenkostenvorauszahlung: 249,48 €). Zum von der Klägerin zu 1 rechtskräftig geschiedenen Ehemann und Vater der Klägerinnen und Kläger zu 2 bis 4 besteht kein Kontakt. Die Klägerin zu 1 bezog ein schwankendes Einkommen aus Erwerbstätigkeit für die Firma K1 sowie Kindergeld für den Kläger zu 3 und die Klägerin zu 4 jeweils in Höhe von monatlich 204 €.
Die Klägerinnen und der Kläger standen bereits seit längerem im Leistungsbezug nach dem SGB II. Zuletzt bewilligte der Beklagte diesen mit Bescheid vom 04.03.2019 in Gestalt der Änderungsbescheide vom 06.03.2019, 10.04.2019, 30.04.2019, 10.05.2019 und 01.06.2019 vorläufig Leistungen nach dem SGB II für die Zeit vom 01.03.2019 bis 31.08.2019.
Mit Bescheid vom 26.06.2019 verfügte der Beklagte eine Minderung des Anspruchs des Klägers zu 3 wegen eines Meldeversäumnisses in Höhe von 33,90 € monatlich (10 % des maßgebenden Regelbedarfs) für die Zeit vom 01.08.2019 bis 31.10.2019.
Mit Bescheid vom 10.07.2019 verfügte der Beklagte eine Minderung des Anspruchs der Klägerin zu 2 wegen eines Meldeversäumnisses in Höhe von 33,90 € monatlich (10 % des maßgebenden Regelbedarfs), ebenfalls für die Zeit vom 01.08.2019 bis 31.10.2019.
Auf deren Weiterbewilligungsantrag vom Juli 2019 hin bewilligte der Beklagte den Klägerinnen und dem Kläger mit Bescheid vom 22.08.2019 in Gestalt der Änderungsbescheide vom 23.11.2019 und vom 09.12.2019, im Hinblick auf das schwankende Erwerbseinkommen vorläufig, Leistungen für die Zeit vom 01.09.2019 bis 29.02.2020, wobei der Beklagte im September 2019 bei den Kosten für Unterkunft und Heizung eine Gutschrift der Vermieterin in Höhe von 300,27 € berücksichtigte.
Mit Bescheid vom 09.09.2019 verfügte der Beklagte eine weitere Minderung des Anspruchs des Klägers zu 3 in Höhe von 33,90 € monatlich (10 % des maßgebenden Regelbedarfs) in der Zeit vom 01.10.2019 bis 31.12.2019 wegen eines Meldeversäumnisses.
Mit Bescheid vom 20.10.2020 entschied der Beklagte abschließend über den Anspruch der Klägerinnen und des Klägers für die Zeit vom 01.09.2019 bis 29.02.2020 und bewilligte Leistungen wie folgt:
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September 2019 |
1.399,73 € |
Oktober 2019 |
1.666,19 € |
November 2019 |
1.733,90 € |
Dezember 2019 |
1.733,90 € |
Januar 2020 |
1.794,75 € |
Februar 2020 |
1.794,75 € |
Der Beklagte berücksichtigte dabei die Kosten der Unterkunft und Heizung in voller Höhe mit Ausnahme der monatlichen Garagenmiete von 45 €.
Am 29.12.2020 beantragte der Prozess...