Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialversicherungspflicht bzw -freiheit. Diplom-Finanzwirtin. zuarbeitende höherqualifizierte Mitarbeiterin in einer Steuerkanzlei. abhängige Beschäftigung. selbstständige Tätigkeit
Leitsatz (amtlich)
Zur Frage, wann eine in einer Steuerkanzlei tätige Diplom-Finanzwirtin sozialversicherungspflichtig bzw selbstständig tätig ist.
Nachgehend
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Heilbronn vom 17. Juli 2020 und der Bescheid der Beklagten vom 8. Februar 2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 22. August 2018 aufgehoben.
Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird endgültig auf 5.000,00 € festgesetzt.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Beigeladene in der Zeit vom 13. Juli 2017 bis 28. Februar 2018 in ihrer Tätigkeit für die Klägerin als Mitarbeiterin in der Steuerkanzlei sozialversicherungspflichtig beschäftigt war.
Die Klägerin ist (selbstständige) Steuerberaterin. Die Beigeladene verfügt über einen Fachhochschulabschluss als Diplom-Finanzwirtin und überprüfte Steuerbescheide, bearbeitete Einsprüche gegen Steuerbescheide und Jahresabschlüsse.
Am 7. November 2017 wandte sich die Beigeladene an die Beklagte und teilte mit, seit Mitte Juli 2017 für die Klägerin zu arbeiten. Sinngemäß stellte sie einen Antrag auf Statusfeststellung. Über ihre Tätigkeit für die Klägerin gäbe es keinen schriftlichen Vertrag. Sie arbeite in den Kanzleiräumen der Klägerin und werde von der Klägerin kontrolliert. Die notwendige Ausstattung werde von der Klägerin bereitgestellt. Es werde keine Gesamtvergütung gezahlt, sondern der Erfolg der Tätigkeit hänge vom Einsatz der Arbeitskraft ab.
Auf Rückfrage der Beklagten bestätigte die Klägerin, dass es nur mündliche Vereinbarungen gäbe. Es sei vereinbart, dass die Beigeladene zwischen „30% und 50% der Honorarrechnungen“ erhalte. Alle zwei bis drei Wochen stelle sie fünf bis sechs zu bearbeitende Fälle in ein bestimmtes Regal. Die Beigeladene entscheide, welche Fälle sie zuerst bearbeite. Wenn alle Fälle abgearbeitet seien, stelle die Klägerin neue Fälle in das Regal. Die Ablehnung einzelner Aufträge durch die Beigeladene sei möglich. Die fertigen Jahresabschlüsse übergebe die Beigeladene an die Klägerin zur Kontrolle. Die anschließende Übersendung erfolge aus berufsrechtlichen Gründen durch die Klägerin. Die Beigeladene habe keine Prüfung zur Steuerberaterin abgelegt, verfüge aber über eine vergleichbare Berufserfahrung. Die Beigeladene sei zur persönlichen Leistungserbringung verpflichtet; eine Vertretung existiere nicht. Der PC-Arbeitsplatz mit dem DATEV-Programm werde von der Klägerin gestellt. In diesen Programmen könne nur mit einer Lizenz gearbeitet werden, wobei die Beigeladene keinen eigenen Lizenzschlüssel habe. Die Beigeladene selbst stelle keine Arbeitsmittel. Sie arbeite nicht mit anderen Mitarbeitern der Klägerin zusammen, sondern erstelle die Jahresabschlüsse selbstständig. Der zeitliche Umfang der Tätigkeit variiere und belaufe sich etwa auf 15 Stunden pro Woche. Eine Tätigkeitsdauer sei nicht vorgeschrieben. Die Beigeladene arbeite auch an Freitagnachmittagen oder samstags.
Die Beigeladene erklärte auf Rückfrage der Beklagten, einen Stundensatz von 50,00 € für die Prüfung von Steuerbescheiden und die Erstellung von Schriftsätzen zu erhalten. Es erfolge eine Zusammenarbeit mit anderen Mitarbeitern der Klägerin. Diese hätten die Beigeladene in der Einarbeitungsphase unterstützt. Sie würde die Mandanten kennen. Es würden gemeinsam Fälle besprochen. Die Arbeit erfolge an zwei bis vier Tagen pro Woche. Die Arbeit könne nur an bestimmten Wochentagen erfolgen, weil nicht genug DATEV-Arbeitsplätze vorhanden seien. Einzelne Aufträge könne die Beigeladene nicht ablehnen.
Aus den von den Beteiligten vorgelegenen Abrechnungen ergaben sich teilweise eine Vergütung von 50,00 € pro Stunde, teilweise eine nicht in Berechnungselemente aufgeschlüsselte Bezahlung mit der Bezeichnung: Mitarbeit in Steuerberaterkanzlei.
Die Beklagte hörte die Klägerin und die Beigeladene daraufhin dazu an, dass beabsichtigt sei, das Vorliegen eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses mit Versicherungspflicht in der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung ab 13. Juli 2017 festzustellen. Als Merkmale für ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis wurden genannt: Die Tätigkeit werde am Betriebssitz der Klägerin ausgeübt. Es erfolge eine Kontrolle der Arbeitsausführung und das letzte Entscheidungsrecht liege bei der Klägerin. Die Beigeladene betreue Mandate der Klägerin, welche ihr zugewiesen würden. Die erforderlichen Betriebsmittel würden durch die Klägerin gestellt und es erfolge eine Zusammenarbeit zwischen deren Mitarbeitern und der Beigeladenen. Zudem bestehe eine persönliche Leistungspflicht und als ...