Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. kein Vergütungsanspruch einer Universitätsklinik für eine CD34+-Aufreinigung an einem Stammzellentransplantat zur Behandlung einer NHL-Erkrankung. Berücksichtigung von Qualität und Wirksamkeit einer Behandlungsmethode durch den Krankenhausarzt trotz Erlaubnis mit Verbotsvorbehalt. grundrechtsorientierte Auslegung nach dem Beschluss des BVerfG vom 6.12.2005
Leitsatz (amtlich)
1. Auch bei Fehlen eines Negativvotums des Gemeinsamen Bundesausschusses iS von § 137c Abs 1 SGB 5 kann ein Krankenhaus nur diejenigen Untersuchungs- und Behandlungsmethoden, die zum Behandlungszeitpunkt im konkreten Einzelfall dem allgemeinen Stand der medizinischen Erkenntnisse (§ 2 Abs 1 S 3 SGB 5) entsprechen, abrechnen. Die Krankenkasse kann die Nichteinhaltung dieser Qualitätsstandards im Nachhinein beanstanden.
2. Zu den Anforderungen der Einhaltung der Qualitätsstandards nach § 2 Abs 1 S 3 SGB 5 im Fall der Behandlung eines rezidivierten Non-Hodgkin-Lymphoms mit Hochdosis-Chemotherapie und autologer Stammzellentransplantation nach durchgeführter CD34+-Anreicherung des Transplantats bei einem zu Zeitpunkt der Ersterkrankung Jugendlichen, zum Zeitpunkt des Rezidivauftritts im Jahr 2004 inzwischen erwachsenen Versicherten.
Orientierungssatz
1. Die von einer Universitätsklinik an einem Stammzellentransplantat durchgeführte CD34+-Aufreinigung zur Behandlung einer NHL-Erkrankung, die eine In-Vitro-Behandlung des Stammzellentransplantats darstellt, entspricht nicht dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse iS von § 2 Abs 1 S 3 SGB 5 und ist nicht durch die Krankenkasse zu vergüten. Dem steht die Regelung des § 137c SGB 5 nicht entgegen.
2. Zur Frage der Beurteilung der Qualität und Wirksamkeit einer Behandlungsmethode iS des § 2 Abs 1 S 3 SGB 5 durch den Krankenhausarzt unter Auswertung vorhandener Studien.
3. Bei einer NHL-Erkrankung als lebensbedrohliche Erkrankung lässt sich auch anhand des Beschlusses des BVerfG vom 6.12.2005 - 1 BvR 347/98 = SozR 4-2500 § 27 Nr 5 = BVerfGE 115, 25 kein abweichender Maßstab ableiten, der eine Leistungspflicht der Krankenkasse auch außerhalb des medizinischen Erkenntnisstands begründet.
Nachgehend
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 23. November 2009 aufgehoben und die Klage abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.
Die Revision wird zugelassen.
Der Streitwert für beide Rechtszüge wird endgültig auf € 7.055,12 festgesetzt.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob das klagende Universitätsklinikum (im Folgenden: Kläger) Anspruch auf Vergütung einer stationären Krankenhausbehandlung in Höhe weiterer € 7.055,12 hat.
Der Kläger betreibt ein nach § 108 Nr. 1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) zur Versorgung der Versicherten der gesetzlichen Krankenversicherung zugelassenes Hochschulklinikum. Der bei der beklagten Krankenkasse versicherte und 1984 geborene R. H. (im Folgenden: Versicherter) wurde vom 07. April bis 07. Mai 2004 in der Abteilung des Klägers “Kinderheilkunde I mit Poliklinik„ stationär behandelt. Im September 2000 war bei ihm erstmals ein T-Zellreiches B-Zell-non-Hodgkin-Lymphom diagnostiziert worden. Damals war der Versicherte mit einer konventionellen Chemotherapie behandelt worden. Im Dezember 2003 wurde bei ihm ein Rezidiv festgestellt. Ab Januar 2004 erhielt er zunächst erneut konventionelle Chemotherapie. Am 07. April 2004 wurde er zur Behandlung mit Hochdosistherapie und autologer Stammzellgabe bei dem Kläger stationär aufgenommen. Ausweislich des Entlassungsberichts des den Versicherten dort behandelnden Oberarztes, damals noch PD, heute Prof. Dr. L. (im Folgenden durchgängig Prof. Dr. L.) vom 07. Mai 2004 erhielt der Versicherte am 17. April 2004 autologe periphere Blutstammzellen, bei denen eine CD34+- Anreicherung (so genanntes Tumorzell-Purging) durchgeführt worden war. Am 22. April 2004 erhielt der Versicherte erneut positive Stammzellen. Ob auch bei diesen Zellen eine CD34+- Anreicherung durchgeführt wurde, ist im Arztbericht nicht vermerkt. Zu einem im Arztbericht nicht näher bezeichneten Zeitpunkt wurde zudem Rituximab infundiert. Nach weiterer Behandlung wurde der Versicherte am 07. Mai 2004 entlassen.
Zwischen den Beteiligten ist die Indikation zur Behandlung mit Hochdosis-Chemotherapie und autologer Stammzellentransplantation unstreitig. Streitig ist dagegen, ob bei dem Stammzellentransplantat die durchgeführte CD34+-Anreicherung als eine Form der in-vitro-Aufreinigung indiziert war. Ziel dieser Behandlungsmethode ist es, mögliche Tumorzellen aus dem Stammzellentransplantat zu entfernen. Bei der so genannten CD34+-Anreicherung werden in das Stammzellentransplantat in vitro magnetische Partikel eingesetzt, die mit Antikörpern gegen Stammzellantigene (CD34-Antigene) beladen sind. Hierdurch werden im Wesentlichen reine Stammzellen angereichert und alle anderen Zell...