Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialgerichtliches Verfahren. Berufung eines Beigeladenen. materielle Beschwer. Beeinträchtigung subjektiver Rechte durch die Bindungswirkung des angefochtenen Urteils. Krankenversicherung. Hilfsmittelversorgung. höherwertiges Hörgerät. Geltendmachung eines beruflichen Gebrauchsvorteils. keine Aufspaltung in zwei separate Leistungsanträge. Rentenversicherung. medizinische Rehabilitation. alltägliche Kommunikationsformen. keine Erforderlichkeit einer höherwertigen Versorgung aus rein beruflichen Gründen

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die für das Rechtsmittel der Berufung eines Beigeladenen erforderliche materielle Beschwer liegt vor, wenn er geltend machen kann, dass er aufgrund der Bindungswirkung des angefochtenen Urteils bzw Gerichtsbescheids unmittelbar in seinen subjektiven Rechten beeinträchtigt ist. Eine solche materielle Beschwer des Beigeladenen ist bei dessen Verurteilung nach § 75 Abs 5 SGG gegeben.

2. Begründet eine Versicherte ihre Entscheidung für ein bestimmtes Hörsystem mit beruflichen Gebrauchsvorteilen, scheidet eine Aufspaltung in zwei separate Leistungsanträge, nämlich in einen Antrag auf Bewilligung eines Festbetrages ("Normalversorgung", § 12 Abs 2 SGB V) und einen weiteren Antrag auf Bewilligung einer über den Festbetrag hinausgehenden, technisch anspruchsvolleren und teureren Versorgung ("Premiumversorgung") aus.

3. Telefonate, Mehrpersonengespräche und Verständigungen unter Störgeräuschen gehören nahezu zu jedem privaten und beruflichen Alltag. Diese Kommunikationsformen machen keine Versorgung mit höherwertigen Hörgeräten aus rein beruflichen Gründen erforderlich.

 

Tenor

Auf die Berufung der Beigeladenen wird das Urteil des Sozialgerichts Heilbronn vom 08.05.2019 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist die Erstattung der den Festbetrag übersteigenden Kosten der Hörgeräteversorgung der Klägerin in Höhe von 4.000,94 € streitig.

Die 1974 geborene Klägerin ist bei der beklagten Krankenkasse krankenversichert und bei dem beigeladenen Rentenversicherungsträger rentenversichert. Sie leidet an einer Schallempfindungsschwerhörigkeit beidseits. Sie ist als Sachbearbeiterin Leistungen bei einer Betriebskrankenkasse beschäftigt.

Der behandelnde Vertragsarzt verordnete der Klägerin am 26.06.2017 wegen der beidseitigen Schallempfindungsschwerhörigkeit eine beidseitige Hörhilfe. In der Folgezeit suchte die Klägerin die Hörgeräte L. GmbH & Co. KG R., einen Vertragspartner der Beklagten iS von § 126 Abs 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch (SGB) Fünftes Buch (V), auf. Bei diesem testete sie zunächst in der Zeit vom 26.07.2017 bis zum 18.08.2017 das aufzahlungsfreie Hörsystem NuEar Intro 4 HdO 13, ein digitales, mehrkanaliges Hinter-dem-Ohr-Gerät ua mit automatischer Rauscherkennung und -reduzierung, mit Rückkoppelungseliminierung und Telefonspule. In dem Prüfbogen gab sie am 26.07.2017 zu diesem Hörgerät ua an, dass sie mit dem Hörgerät in Gesprächen ihr Gegenüber deutlich höre, ihre Gesprächspartner am Telefon verstehe und zwar auch in geräuschvoller Umgebung. Außerdem testete die Klägerin das Hörgerät Widex Unique 440 Fusion, für das sie sich am 17.10.2017 entschied. Sie gab unter dem 17.10.2017 ua folgende Erklärung ab: „Ich bin über das moderne und qualitativ hochwertige Angebot einer aufzahlungsfreien Versorgung (ohne Aufzahlung, ausgenommen der gesetzlichen Zuzahlung) informiert worden. Ich habe aufzahlungsfreie Hörsysteme ausprobiert mit denen meine individuelle Hörminderung in alltagsrelevanten Hörsituationen getestet wurden und mit denen ich gut zurechtkam. Dennoch habe ich mich entschieden ein Hörsystem mit Aufzahlung zu wählen, weil ich besondere Ausstattungsmerkmale möchte, die nichts mit dem reinen Hörverstehen im Alltag zu tun haben. Ich wünsche deshalb eine Versorgung mit einem die Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung übersteigenden Hörsystem. Die daraus entstehenden Mehrkosten, ggf. auch für Reparaturen, habe ich zu tragen. Ich habe mich für das ausgewählte Hörsystem ausschließlich aus folgenden Gründen entschieden: Folgende Ausstattungsmerkmale sind für mich maßgeblich: berufliche Gebrauchsvorteile: Notwendige Telefonate sind zur besseren Verständlichkeit auf beiden Ohren (Stereo) übertragbar.“

Ausweislich des Anpassungs- und Abschlussberichts des Hörgeräte-Akustikers vom 16.10.2017 ergab die Freifeldmessung mit den Hörgeräten Widex Unique 440 Fusion ein Sprachverstehen bei Nutzschall (65 dB) von 95% sowie bei Nutzschall (65 dB) und Störschall 60 dB von 75%. Die gleichen Ergebnisse wurden unter Verwendung des aufzahlungsfreien Hörgerätes NuEar Intro 4 erzielt (Formular Angaben zur Hörgeräte-Anpassung nach den geltenden Hilfsmittel-Richtlinien, Bl 94 der SG-Akten). Der Hörgeräteakustiker unterbreitete der Klägerin unter dem 20.10.2017 ein Angebot für die Versorgung mit Hörgeräten beidseits Widex Unique 440 Fusion in Höhe von insgesamt 4.117,90 € (abzüglich Z...

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