Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. Arzneimittelversorgung. Versorgung mit Cannabis gemäß § 31 Abs 6 S 1 SGB 5. Unerheblichkeit nicht-medizinischer Gründe im Rahmen der vom Vertragsarzt vorzunehmenden Einschätzung
Leitsatz (amtlich)
Für die nach § 31 Abs 6 S 1 Nr 1 Buchst b SGB V vom behandelnden Vertragsarzt vorzunehmende Einschätzung, ob eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung bei einem Versicherten zur Anwendung kommen kann, sind nur medizinische Gründe maßgebend. Unerheblich ist, ob der Versicherte bestimmte Maßnahmen aus beruflichen Gründen nicht durchführen kann oder will.
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Karlsruhe vom 03.06.2020 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
Der Kläger begehrt die Versorgung mit Cannabisblüten und die Erstattung der für die Selbstbeschaffung bereits entstandenen Kosten.
Der 1982 geborene Kläger war bis zum 31.01.2019 bei der Beklagten krankenversichert. Er reichte am 30.04.2018 bei der Beklagten unter anderem einen Arztfragebogen zu Cannbinoiden nach § 31 Abs 6 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) ein und fügte weitere ärztliche Unterlagen bei. Im Arztfragebogen gab die H an, der Kläger leide an einem chronischen Schmerzsyndrom bei Bandscheibenprotrusion multisegmental und Bandscheibenvorfall, aktivierter Spondylarthrose und ausgeprägter Dermatitis bei Psoriasis. Als Behandlungsziel gab sie an: Schmerzlinderung, Ermöglichung der Berufstätigkeit, Vermeidung von massiven Nebenwirkungen der bisherigen Schmerztherapie. Der Kläger leide unter einem stärksten Schmerzzustand. Sie verwies auf einen orthopädischen Befundbericht vom 17.01.2017 der orthopädischen Gemeinschaftspraxis K./M.. Die aktuelle Medikation bestehe aus Tilidin 50/4 2 mal täglich, Pantazol 40 1 mal täglich, Ibuprofen 600 3 mal täglich und Novalgin 500 3-4 mal täglich. Bei den bisherigen Therapieversuchen hätten sich jeweils ausgeprägte Nebenwirkungen gezeigt. Beigefügt war auch ein Entlassungsbrief über die stationäre Behandlung vom 10. bis 14.03.2016 in der Klinik für Orthopädie des Diakonissenkrankenhauses K. sowie der Entlassbericht über die vom 17.05.2016 bis 07.06.2016 im Ambulanten Zentrum am E. durchgeführte Rehabilitation.
Die Beklagte beauftragte den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) mit einem Gutachten. Dieser kam in seinem sozialmedizinischen Gutachten vom 07.05.2018 zu dem Ergebnis, die medizinischen Voraussetzungen für die Gewährung der begehrten Versorgung seien nicht erfüllt. Es sei bei dem vorliegenden Schmerzsyndrom bei Wirbelsäulensyndrom nicht eindeutig von einer schwerwiegenden Erkrankung im Sinne von § 31 Abs 6 SGB V auszugehen. Eine aktuelle stationäre Schmerztherapie sei nicht dokumentiert, ebensowenig wie eine längere aktuelle Arbeitsunfähigkeit oder aktuelle Facharztberichte. Die Behandlung eines Wirbelsäulensyndroms solle vorwiegend nichtmedikamentös erfolgen, durch Krankengymnastik, Entspannungsmaßnahmen, Funktionstraining etc. Aus gutachterlicher Sicht sei die Einschätzung des behandelnden Vertragsarztes, dass eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Therapiealternative nicht zu Anwendung kommen könne, nicht begründet.
Gestützt hierauf lehnte die Beklagte den Antrag mit Bescheid vom 14.05.2018 ab.
Der Kläger erhob Widerspruch und begründete diesen im Wesentlichen mit dem Hinweis auf seine starken Schmerzen und die Nebenwirkungen der medikamentösen Therapie. Er legte ein Attest von H vom 21.06.2018 vor. Diese führte zusammengefasst aus, der Kläger leide unter ganz erheblich andauernden Schmerzen, die mit den bislang eingesetzten Schmerzmitteln entweder unzureichend therapiert gewesen seien oder durch die Therapie erhebliche Nebenwirkungen aufgetreten seien. Eine stationäre Schmerztherapie sei dem Kläger nicht möglich, da er in leitender Stellung als Security gearbeitet und als Familienvater mit kleinen Kinder seine Stellung nicht habe gefährden können. Aus diesem Grund - es seien wechselnd Tag- und Nachtschichten nötig gewesen - sei es auch ein Problem Physiotherapie neben der Berufstätigkeit durchzuführen.
Der erneut beauftragte MDK hielt in seinem Gutachten vom 12.09.2018 an seiner bisherigen Einschätzung fest. Der Kläger legte noch eine weitere ärztliche Stellungnahme von H vom 19.10.2018 vor, wonach der Kläger die begehrte Cannabisblütentherapie über sieben Monate privat finanziert und sehr gut vertragen habe, nunmehr aber aus finanziellen Gründen und nach einer Knieverletzung aufgrund eines Motorradunfalls sowie Schulter- und Rückenschmerzen wieder zu seiner alten Medikation zurückgreifen müsse und erneut unter erheblichen Nebenwirkungen leide.
Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 07.11.2018 zurück. Gegen den seinem Prozessbevollmächtigten am 12.11.2018 zugegangenen Widerspruchsbescheid hat der Kläger am 12.12.2018 Klage zum Sozialgericht Karlsruhe (SG) erhoben....