Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialrechtliches Verwaltungsverfahren. Vorverfahren. Widerspruchsbescheid. Rechtsbehelfsbelehrung. Wegweiserfunktion. Hinweis auf elektronische Klageerhebung. wesentlicher Inhalt. Lenkungsfunktion. keine Darstellung zu den technischen Voraussetzungen erforderlich. Überfrachtungsverbot
Orientierungssatz
1. Eine Rechtsbehelfsbelehrung in einem Widerspruchsbescheid genügt der geforderten Wegweiserfunktion, wenn sie den Hinweis enthält, dass die Klage gemäß § 65a SGG auch als elektronisches Dokument eingereicht werden kann und klargestellt wird, dass eine Einlegung per einfacher E-Mail nicht zulässig ist sowie - im Hinblick auf die konkrete technische Ausgestaltung der elektronischen Klageerhebung - auf ein frei verfügbares Informationsangebot im Internet (hier des Ministeriums der Justiz und für Migration Baden-Württemberg unter www.ejustice-bw.de) verwiesen wird.
2. Nähere technische Ausführungen sind dagegen nicht geboten; denn es reicht aus, wenn die Rechtsbehelfsbelehrung die Beteiligten in die richtige Richtung lenkt.
3. Eine Darstellung über die technischen Voraussetzungen für die formgerechte elektronische Klageerhebung in der Rechtsbehelfsbelehrung würde eine Vielzahl weiterer Seiten erfordern und wäre allein ihres Umfangs wegen geeignet, den weniger erfahrenen Rechtsuchenden zu verwirren oder von vornherein abzuschrecken. Eine solchermaßen überfrachtete Rechtsbehelfsbelehrung würde den mit § 66 SGG verfolgten Zweck, nämlich die Ermöglichung der fristgerechten Rechtswahrnehmung, ins Gegenteil verkehren.
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 22.07.2021 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Klagefrist gewahrt ist und ob bei der Klägerin weiterhin ein Grad der Behinderung (GdB) von 50 vorliegt.
Der Beklagte stellte bei der Klägerin zuletzt mit Abhilfebescheid vom 24.08.2016 einen GdB von 50 seit März 2015 fest.
Im Zuge der empfohlenen Nachprüfung von Amts wegen hob der Beklagte mit Bescheid vom 20.02.2019 nach vorheriger Anhörung der Klägerin den Bescheid vom 24.08.2016 teilweise auf und stellte bei der Klägerin einen GdB von 40 ab dem 23.02.2019 fest.
Den hiergegen erhobenen Widerspruch wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 12.03.2020, der laut Aktenvermerk am 13.03.2020 zur Post ging, zurück. Dem Widerspruchsbescheid war folgende Rechtsbehelfsbelehrung angefügt:
„Gegen diesen Bescheid kann innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe Klage beim Sozialgericht Freiburg, Habsburger Str. 127, 79104 Freiburg erhoben werden. Die Klage ist schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle beim Sozialgericht zu erheben. Sie kann auch als elektronisches Dokument eingereicht werden (§ 65a SGG). Eine Einlegung per E-Mail ist allerdings nicht zulässig. Wie Sie Klagen bei Gericht elektronisch einreichen können, wird auf www.ejustice-bw.de beschrieben.“
Hiergegen hat die Klägerin am 18.03.2021 Klage beim Sozialgericht Freiburg (SG) erhoben, mit der sie die Aufhebung des Bescheides vom 20.02.2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.03.2020 begehrt hat. Sie hat mit der Klageschrift den Widerspruchsbescheid vom 12.03.2020 mit Eingangsstempel ihrer damaligen Bevollmächtigten vom 18.03.2020 vorgelegt und zur Begründung ihrer Klage vorgetragen, die Rechtsbehelfsbelehrung entspreche nicht den gesetzlichen Vorgaben. Es fehle an der notwendigen Klarheit. Auf der angegebenen Internetseite würde keine genaue Angabe gemacht. Aufgrund dessen gelte vorliegend die Jahresfrist, da der Widerspruchsbescheid am 18.03.2020 bekannt gegeben worden sei, und die Klage sei zulässig und im Übrigen auch begründet. Der Beklagte ist dem entgegengetreten. Die dem Widerspruchsbescheid angefügte Rechtsbehelfsbelehrung enthalte sämtliche geforderten Elemente, insbesondere sei auf die Einlegung in elektronischer Form im Sinne eines gleichwertigen 2. Regelwegs hingewiesen worden. Der gerügte Hinweis auf die offizielle Seite des Ministeriums der Justiz und für Migration in Baden-Württemberg (künftig: Ministerium der Justiz und für Migration) zur Einlegung des Rechtsbehelfs in elektronischer Form führe gerade dazu, die Rechtsbehelfsbelehrung nicht zu überfrachten. Die einzelnen Schritte der Einlegung eines Rechtsbehelfs seien dort anschaulich und nachvollziehbar beschrieben.
Mit Gerichtsbescheid vom 22.07.2021 hat das SG die Klage abgewiesen. Die Klage sei am 18.03.2021 nicht fristgerecht erhoben worden. Die Klagefrist gegen den ausweislich des Eingangsstempels der vormaligen Bevollmächtigten der Klägerin spätestens am 18.03.2020 bekannt gegebenen Widerspruchsbescheid vom 12.03.2020 habe spätestens am 18.04.2020 geendet. Es sei vorliegend auch nicht die Jahresfrist aus § 66 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) anzuwenden. Denn die Klägerin sei durch die Rechtsbehelfsbelehrung des Widerspruchsbescheides über die Art des möglichen Rechtsbeh...