Entscheidungsstichwort (Thema)
Freiwillige Krankenversicherung. Beitragsbemessung. Berücksichtigung eines einkommenssteuerrechtlichen Aufgabegewinns nach Betriebsaufgabe. sozialgerichtliches Verfahren. Verbindung mehrerer Rechtstreitigkeiten. jeweils gesonderte Prüfung der Zulässigkeit der Berufung
Leitsatz (amtlich)
1. Ein einkommenssteuerrechtlicher Aufgabegewinn nach Betriebsaufgabe unterliegt bei einer freiwilligen Krankenversicherung der Beitragspflicht in der Kranken- und sozialen Pflegeversicherung.
2. Auch nach der Verbindung von Verfahren durch das Sozialgericht ist die Zulässigkeit der Berufung jeweils gesondert zu prüfen.
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Ulm vom 23. März 2023 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist im Rahmen einer endgültigen Festsetzung von Beiträgen streitig, ob ein einkommenssteuerrechtlicher Aufgabegewinn nach Betriebsaufgabe der Beitragspflicht in der Kranken- und sozialen Pflegeversicherung unterliegt.
Der 1950 geborene Kläger war seit dem 1. Oktober 2007 bei der Beklagten zu 1 freiwillig kranken- und bei der Beklagten zu 2 pflegeversichert. Er betrieb in den Räumen des zu gleichen Teilen in seinem und im Eigentum seiner Frau stehenden, ansonsten selbstbewohnten Einfamilienhauses bis zum 1. April 2016 hauptberuflich und danach bis zum 31. Dezember 2020 nebenberuflich eine selbstständige Tätigkeit (Entwicklungsbüro für Soft- und Hardwarelösungen; Aufgabe nach eigenen Angaben ab dem 1. Januar 2021). Bei den gewerblich genutzten Räumen handelte es sich um das Untergeschoss unter der Garage und um die Hälfte einer Doppelgarage des Einfamilienhauses. Seit dem 1. April 2016 bezieht der Kläger eine Altersrente (bis 30. Juni 2020 monatlich 814,34 €, ab dem 1. Juli 2020 monatlich 842,43 €; Rentenanpassungsbescheid der Deutschen Rentenversicherung [DRV] Bund über die Rentenanpassung vom 1. Juli 2020) und ist seit April 2016 als Rentenbezieher in der Krankenversicherung der Rentner bei der Beklagten zu 1 pflichtversichert und entsprechend bei der Beklagten zu 2 sozial pflegeversichert.
Die Beklagte zu 1 setzte - hinsichtlich der Pflegeversicherung im Namen der Beklagten zu 2 - die Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung zunächst jeweils vorläufig aufgrund der Mindestbemessungsgrundlage fest. Am 18. Februar 2022 übersandte der Kläger den Einkommensteuerbescheid des Finanzamtes G2 vom 16. Februar 2022 für das Jahr 2020, aus dem hervorgeht, dass er neben Einkünften aus Gewerbebetrieb (Solaranlage) in Höhe von 623 € Einkünfte aus selbstständiger Arbeit in Höhe von 30.980 € erzielte. Diese setzten sich aus Einkünften aus freiberuflicher Tätigkeit in Höhe von -3.320 € sowie Einkünften aus Veräußerungsgewinnen in Höhe von 79.300 € abzüglich eines Freibetrags für Veräußerungsgewinne in Höhe von 45.000 € zusammen. Nach seinen eigenen Angaben bezieht der Kläger neben seiner Altersrente Zinsen bzw. Entnahmen aus einer privaten Altersvorsorge in Höhe von ca. 325 € monatlich nebst 94 € aus Solarstromeinspeisung.
Mit Bescheid vom 4. März 2022 teilte die Beklagte zu 1 - zugleich im Namen der Beklagten zu 2 - mit, dass sich zum 1. Januar 2020 die Höhe seiner Beiträge geändert habe. Ab dem „01.07.2020“ seien die Einkommensarten inländische Rente und Arbeitseinkommen (Gewinn aus selbstständiger Tätigkeit) hinterlegt. Auch aus Veräußerungsgewinnen aus selbstständiger Tätigkeit seien Beiträge zu entrichten. Unter Berücksichtigung der beitragspflichtigen Einnahmen (Arbeitseinkommen ohne Altersrente) i.H.v. monatlich 2.633,58 € ergebe sich ab dem „01.07.2020“ ein Monatsbeitrag i.H.v. 480,62 € bzw. ab dem 1. September 2020 i.H.v. 488,52 € (Krankenversicherung i.H.v. 384,50 € bei einem Beitragssatz von 14,6 % und einem Zusatzbeitrag i.H.v. 15,50 € bei einem Beitragssatz von 0,6 % bzw. [nach Erhöhung des Zusatzbeitrags] i.H.v. 23,70 € bei einem Beitragssatz von 0,9 % ab dem 1. September 2020, Pflegeversicherung i.H.v. 80,32 € bei einem Beitragssatz von 3,05 %). Es wurde außerdem mitgeteilt, dass zum 31. Dezember 2020 die Beitragspflicht zur Kranken- und Pflegeversicherung für selbst zu zahlende Beiträge ende. Durch die Neuberechnung der Beiträge ergebe sich eine Beitragsnachforderung i.H.v. 4.130,87 €. Dem Bescheid waren die (Berechnungs-)Anlagen zum Beitragszeitraum „01.01.2020 bis 31.12.2020“ beigefügt; hierauf wird Bezug genommen.
Mit seinem Widerspruch hiergegen machte der Kläger geltend, der Veräußerungsgewinn nach Betriebsaufgabe sei nur ein fiktiver Gewinn (Übergang von Geschäftsanteil ins Private) und es seien weder Änderungen im Grundbuch vorgenommen noch sei ein Verkaufserlös erwirtschaftet worden, der zum Lebensunterhalt hätte verbraucht werden können. Darüber hinaus beantragte der Kläger mit Schreiben vom 24. Mai 2022 zu prüfen, ob ein Härtefall vorliege. Mit Widerspruchsbescheid vom 3. Juni 2022 wies der gemeinsame Widerspruchsausschuss der Beklagten den Widers...