Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. kein Anspruch auf Versorgung mit den Rezepturarzneimitteln Dronabinol und Cannabinol
Leitsatz (amtlich)
Ein Versicherter hat keinen Anspruch auf Versorgung mit Arzneimitteln auf Cannabisgrundlage (Cannabinoiden) zur Behandlung seiner chronischen Schmerzen. Ein solcher Anspruch lässt sich auch nicht aus Verfassungsrecht ableiten.
Nachgehend
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 1.12.2005 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger begehrt die Versorgung mit Arzneimitteln auf Cannabisgrundlage (Cannabinoiden) zur Behandlung seiner chronischen Schmerzen.
Der 1953 geborene Kläger ist nach einem Motorradunfall im Jahr 1987 querschnittsgelähmt und leidet infolgedessen außerdem an einem chronischen Schmerzsyndrom. In einem Attest vom 19.8.2004 (Verwaltungsakte - VA S. 17 -) führte der Facharzt für Anästhesie und spezielle Schmerztherapie Dr. L. aus, die bisherige Schmerztherapie mit Lioresal und Opiaten habe keine ausreichende Reduktion der neuropathischen Schmerzen bewirken können. Deshalb sei nunmehr ein Therapieversuch mit Cannabinol indiziert.
Mit Bescheid vom 30.9.2004 (VA S. 23) lehnte die Beklagte einen Antrag des Klägers auf Übernahme der Kosten für eine Therapie mit Cannabinol ab. Sie könne weder die Kosten für das in den USA zugelassene Fertigarzneimittel Marinol noch die Kosten für Dronabinol als Rezeptursubstanz, wie sie von der Firma THC-Pharma in Deutschland angeboten werde, erstatten. In rechtlicher Hinsicht sei zu unterscheiden zwischen nach dem Arzneimittelgesetz (AMG) zulassungspflichtigen Fertigarzneimitteln und zulassungsfreien, für den jeweiligen Behandlungsfall nach ärztlicher Verordnung zusammengestellten Rezepturarzneimitteln. Ein Fertigarzneimittel auf der Basis von Cannabis sei in Deutschland nicht zugelassen. Die Zulassung von Marinol in den USA könne der Zulassung nach dem AMG nicht gleichgesetzt werden und führe lediglich dazu, dass dieses Mittel im Einzelfall verordnet und importiert werden dürfe, bewirke aber keine Verordnungsfähigkeit zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung. Außerdem sei Marinol in den USA nicht zur Schmerztherapie, sondern zur Behandlung von Anorexie bei Aids-Patienten und zytostatikbedingtem Erbrechen zugelassen. Eine Kostenübernahme für Marinol scheide daher aus. Gleiches gelte für das Rezepturarzneimittel Dronabinol. Neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden dürften zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung nämlich nur dann erbracht werden, wenn diese vom Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen (Bundesausschuss) geprüft und empfohlen worden seien, woran es hier fehle; insoweit werde auch auf das Urteil des LSG Baden-Württemberg vom 25.4.2003 (L 4 KR 3828/01) hingewiesen.
Zur Begründung des dagegen eingelegten Widerspruchs trug der Kläger vor, mittlerweile sei durch umfangreiche Versuchsreihen nachgewiesen, dass Cannabinol bei spastischen Lähmungserscheinungen, unter denen er (ebenfalls) leide, zu einer Verbesserung des Krankheits- und des Schmerzzustandes führe und damit Morphiumpräparate, die bedeutend ungünstigere Nebenwirkungen aufwiesen und außerdem teurer seien, ersetzen könne. Er habe die Morphiumpräparate wieder absetzen müssen, weil sie seine Schmerzen nicht gebessert hätten. Er bitte um Einholung einer Stellungnahme des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung Baden-Württemberg (MDK), wofür er noch umfangreiche Publikationen einreichen werde. Sein Begehren sei nicht auf die Versorgung mit einem Fertigarzneimittel, sondern auf ein Rezepturarzneimittel gerichtet. Die letzte Auskunft des Bundesausschusses stamme aus dem Jahr 2001, weshalb das von der Beklagten zitierte Urteil des LSG Baden-Württemberg wohl überholt sein dürfte.
Die Beklagte erhob das Gutachten des MDK (Dr. Le.) vom 20.1.2005. Darin ist ausgeführt, in Zusammenhang mit einer Reihe von Krankheiten und Symptomen werde seit geraumer Zeit der Einsatz von Cannabis und Marihuana als Therapieoption diskutiert. Die sozialmedizinische Expertengruppe SEG-6 der MDK-Gemeinschaft habe eine Grundsatzstellungnahme zur Methodenbewertung (Stand 12. August 2004) angefertigt. Darin sei der Einsatz von Cannabinoiden für die Indikationen Anorexie und Kachexie, Asthma, Epilepsie, Gilles-de-la-Tourette-Syndrom, Glaukom, Migräne, muskuläre Krämpfe und Spastik, beispielsweise bei MS, reaktiver Depression, Schmerzzuständen, Übelkeit und Erbrechen, Unruhe und Schlafstörungen im Rahmen von Demenz bewertet worden. Zusammenfassend habe man festgestellt, dass für Cannabis/Cannabinoide zwar eine Evidenz für die (mäßige) Wirksamkeit einzelner Indikationen bestehe, jedoch wegen der Verfügbarkeit anderer gesicherter wirksamer kostengünstiger Standards insgesamt ein sozialmedizinischer Bedarf kaum erkennbar sei. Auf der Basis der derzeitigen Evidenz kön...