Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. Hilfsmittelversorgung. Versorgung mit zuzahlungspflichtigen Hörgeräten bei einem lediglich um 5%-Punkte besseren Sprachverstehen durch das zuzahlungspflichtige Hörgerät. Freiburger Sprachtest als geeignetes Mittel zur Bewertung der Güte eines Hörsystems
Orientierungssatz
1. Ein um 5%-Punkte besseres - im Freiburger Sprachtest ermitteltes - Sprachverstehen für ein zuzahlungspflichtiges Hörgerät rechtfertigt nicht die Annahme eines wesentlichen Gebrauchsvorteils des zuzahlungspflichtigen Hörgeräts gegenüber einem zuzahlungsfreien Hörgerät.
2. Der Freiburger Sprachtest stellt ein geeignetes Mittel dar, um die Güte eines Hörsystems bewerten zu können.
Tenor
Auf die Berufung der Beigeladenen wird das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 28.09.2020 aufgehoben und die Klage abgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.
Tatbestand
Streitig ist die Versorgung mit Hörgeräten sowie einer FM-Anlage.
Die 1971 geborene und bei der Beigeladenen krankenversicherte Klägerin leidet unter einer beidseitigen Tieftonschwerhörigkeit. Sie arbeitet in Teilzeit als Produktberaterin in der Stiftung K Rechenzentrum für 20 Stunden pro Woche und ist ua zuständig für Schulungen des Kindergarten- und Verwaltungspersonals sowie Präsentationen (auch Fernwartungspräsentationen). Seit dem 01.09.2015 ist bei der Klägerin ein Grad der Behinderung von 30 nach § 152 Neuntes Sozialgesetzbuch (SGB IX) anerkannt. Sie ist gem § 2 Abs 3 SGB IX einem schwerbehinderten Menschen gleichgestellt (vgl Bescheid der Bundesagentur für Arbeit vom 02.05.2018, Bl 20 Rentenakte).
Der S verordnete am 15.01.2018 eine Hörhilfe und gab als Begründung neue Arbeitsplatzanforderungen an das Hören an. In der Folge wandte sich die Klägerin an die A GmbH & Co.KG (fortan Hörgeräteakustiker), welche am 13.07.2018 ein Ton- und Sprachaudiogramm erstellte und eine Beratung für Hörsysteme durchführte. In der Folge passte der Hörgeräteakustiker die zuzahlungspflichtige Hörhilfe P DEMO (Hilfsmittel-Positionsnummer 13.20.12.3604) und die ebenfalls zuzahlungspflichtige Hörhilfe P1 (Hilfsmittel-Positionsnummer 13.20.12.3601) an. Der Freiburger Sprachtest ergab dabei für das P DEMO im Freifeld mit 65dB Nutzschall ein Sprachverstehen von 90% und im Freifeld mit 65 dB Nutzschall und 60 dB Störschall ein Sprachverstehen von 70 %. Für das P1 ergab sich im Freifeld mit 65dB Nutzschall ein Sprachverstehen von 85% und im Freifeld mit 65 dB Nutzschall und 60 dB Störschall ein Sprachverstehen von 60 %. Ein zuzahlungsfreies Hörgerät testete die Klägerin nicht. Am 05.06.2018 erstellte der Hörgeräteakustiker einen Kostenvoranschlag für die Versorgung mit dem P inklusive drei Konferenzmikrofonen sowie einem Tischmikrofon nebst dazugehörigen Empfängern (FM-Anlage) iHv 14.431,01 Euro.
Am 17.07.2018 stellte die Klägerin zunächst bei der Deutschen Rentenversicherung Baden-Württemberg einen Antrag auf Übernahme dieser Kosten als Leistung zur Teilhabe. Mangels Zuständigkeit leitete die DRV Baden-Württemberg diesen Antrag an die DRV Bund, die Beklagte, weiter, die diesen mit Bescheid vom 03.08.2018 unter Hinweis auf eine fehlende spezifische berufsbedingte Notwendigkeit der Hörgeräteversorgung ablehnte. Hiergegen legte die Klägerin Widerspruch ein und schilderte im Einzelnen, aus welchen Gründen sie beruflich auf die Hörgeräte angewiesen sei (Bl 40 f Rentenakte). Für den privaten Bereich reichten ihre Hörgeräte aus. Dem Widerspruch legte die Klägerin das ärztliche Attest des S vom 09.09.2018 bei. Darin führte S aus, bei der Klägerin bestehe eine mittelgradige Innenohrschwerhörigkeit, die hörgerätepflichtig sei. Speziell in ihrem beruflichen Alltag müsse die Klägerin als Produktberaterin häufig Schulungen für Kindergartensoftware mit Gruppen bis zu 15 Teilnehmern durchführen. Hierbei sei das jetzige Hörgerät völlig unzureichend, da es nicht mit dem Konferenzmikrofon (P2) kompatibel sei. Es komme zu großen Sprachverständnisproblemen mit häufigem Nachfragen. Dies entspreche nicht einem unmittelbaren Behinderungsausgleich mit dem Ziel der Angleichung an das Hörvermögen gesunder Menschen. Gemäß einem Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) solle berufsbedarflich die bestmögliche Hörgeräteversorgung erfolgen. HNO-ärztlich werde daher dringend zur Erhaltung der beruflichen Leistung und der Arbeitsfähigkeit zu einer höherwertigen Hörgeräteversorgung geraten. Diesen Widerspruch der Klägerin wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 28.11.2018 zurück. Ihre anschließende Klage vor dem Sozialgericht Karlsruhe (SG) nahm die Klägerin zurück (S 8 R 4510/18).
Am 08.08.2019 beantragte die Klägerin bei ihrer Krankenkasse, der Beigeladenen, die Kostenübernahme der begehrten Hörgeräteversorgung. Ihre jetzige Hörgeräteversorgung (K) sei nicht mit einer Übertragungsanlage kompatibel. Dem Antrag legte die Klägerin erneut das Attest des S vom 09.09.2018 und außerdem das Schreiben des Hörgeräteakustikers vom 19.04.2019 bei, wonach bestätigt we...