Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialgerichtliches Verfahren. einstweiliger Rechtsschutz. Regelungsanordnung. Anordnungsanspruch. Asylbewerberleistung. Grundleistung. niedrigerer Bedarfssatz für erwachsene Leistungsberechtigte in Sammelunterkünften. Verfassungsmäßigkeit. Grenzen verfassungskonformer Auslegung. Vorlage ans BVerfG. Überzeugung von der Verfassungswidrigkeit. Verweis auf Inanspruchnahme sonstiger Leistungen nach § 6 Abs 1 AsylbLG

 

Orientierungssatz

1. Wortlaut, systematische Stellung, Entstehungsgeschichte und Normzweck des § 3a Abs 1 Nr 1 und Nr 2 Buchst b AsylbLG sowie des § 3a Abs 2 Nr 1 und Nr 2 Buchst b AsylbLG lassen für eine verfassungskonforme Auslegung dahingehend, dass erwachsene Leistungsberechtigte, die in einer Aufnahmeeinrichtung, Gemeinschaftsunterkunft oder vergleichbaren sonstigen Unterkunft untergebracht sind, den gleichen Bedarfssatz erhalten wie erwachsene Leistungsberechtigte, die in einer Wohnung leben, keinen Raum.

2. Eine vertiefte Würdigung sich gegebenenfalls ergebender verfassungsrechtlicher Fragen kann regelmäßig nur in einem Hauptsacheverfahren geleistet werden.

3. Bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache kann der Antragsteller darauf verwiesen werden, sonstige Leistungen nach § 6 Abs 1 AsylbLG in Anspruch zu nehmen, soweit er einen konkreten Bedarf oberhalb der ihm zuerkannten Leistungen geltend machen kann.

 

Gründe

Die Beschwerden, die sich sowohl gegen die Ablehnung des Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung als auch gegen die Ablehnung des Antrags auf Gewährung von Prozesskostenhilfe für das Verfahren erster Instanz durch den angefochtenen Beschluss richten, sind zulässig.

Sie sind im Besonderen nicht gemäß § 172 Abs. 3 Nr. 1 und Nr. 2 Buchst. b) Sozialgerichtsgesetz (SGG) ausgeschlossen, weil in der Hauptsache die Berufung der Zulassung bedürfte. Der Zulassung bedarf die Berufung gemäß § 144 Abs. 1 SGG, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes bei einer Klage, die eine Geld-, Dienst- oder Sachleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt betrifft, 750 Euro nicht übersteigt (Satz 1 Nr. 1), es sei denn, dass die Berufung wiederkehrende oder laufende Leistungen für mehr als ein Jahr betrifft (Satz 2).

Zur Bestimmung des Streitgegenstands hat das Sozialgericht den in der Antragsschrift vom 8. Dezember 2019 formulierten Antrag der Antragstellerin auf Erlass einer einstweiligen Anordnung sachgerecht nicht an seinem Wortlaut gemessen. Anderenfalls hätte es bereits an einem Rechtsschutzinteresse gefehlt, denn „Leistungen nach dem AsylbLG in gesetzlicher Höhe“ - also der sich aus dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) in der seit 1. September 2019 geltenden Fassung ergebenden (des Dritten Gesetzes zur Änderung des Asylbewerberleistungsgesetzes vom 13. August 2019, BGBl. I S. 1290, für die Zeit ab 1. Januar 2020 i.V. mit der Bekanntmachung über die Höhe der Leistungssätze nach § 3a Absatz 4 des AsylbLG für die Zeit ab 1. Januar 2020 vom 1. Oktober 2019, BGBl. I S. 1429) - gewährt der Antragsgegner bereits (s. dazu auch noch im Weiteren). Das bestreitet die Antragstellerin letztlich auch nicht.

Dem Vortrag der Antragstellerin hat das Sozialgericht zur Auslegung ihres Rechtsschutzanliegens - anders als es in der Beschwerdeschrift dargestellt wird - nicht mehr entnommen als das, was die Antragstellerin mit ihrer Antragsbegründung vom 8. Dezember 2019 (dort S. 5ff) mittelbar und in der Beschwerdebegründung vom 6. Februar 2020 ausdrücklich als (ursprüngliches) Rechtsschutzanliegen formuliert hat, nämlich (Seite 3, 3. Absatz des angefochtenen Beschlusses) die Berücksichtigung der Bedarfssätze für alleinstehende Personen in eigener Wohnung gemäß § 3 Abs. 1

i.V. mit § 3a Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 2 Nr. 1 AsylbLG an Stelle der von Personen in Unterkünften gemäß § 3 Abs. 1 i.V. mit § 3a Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b) und Abs. 2 Nr. 2 Buchst. b) AsylbLG, das heißt in der Zeit bis Ende 2019 von (150 + 194 =) 344,-- € an Stelle von (136 + 174 =) 310,-- € monatlich (Differenz: 34,-- €) und in der Zeit ab 2020 von (153 + 198 =) 351,-- € an Stelle von (139 + 177 =) 316,-- € (Differenz: 35,-- €).

Das vor dem Sozialgericht anhängig gemachte Rechtsschutzanliegen würde angesichts dessen zwar erst dann den Schwellenwert des § 144 Abs. 1 Nr. 1 SGG übersteigen, wenn es Leistungen für mehr als 21 Monate beträfe (und damit für einen Zeitraum, der die Dauer ausgesprochener einstweiliger Anordnungen betreffend Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts regelmäßig übersteigt). Eine Berufung in der Hauptsache wäre aber gemäß § 144 Abs. 1 Satz 2 SGG zulässig, weil im Sinne dieser Vorschrift laufende oder wiederkehrende Leistungen für mehr als ein Jahr betroffen sind. Zwar handelt es sich bei den bedürftigkeitsabhängigen Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nicht um rentengleiche Dauerleistungen. Das AsylbLG enthält aber auch keine Vorschrift, die den zulässigen Streitgegenstand eines Rechtsstreits in der Hauptsache von vornherein zeitlich festlegt (wie etwa § 41 Sozialgesetzbuch Zweites...

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