Entscheidungsstichwort (Thema)

Asylbewerberleistung. Grundleistung. Bedarfssatz. Unterbringung in einer Aufnahmeeinrichtung, Gemeinschaftsunterkunft oder vergleichbaren sonstigen Unterkunft. eingeschränkte Nutzung von zur gemeinschaftlichen Nutzung vorgesehenen Räumlichkeiten aufgrund der Corona-Pandemie

 

Leitsatz (amtlich)

Leistungsberechtigte Personen nach dem AsylbLG, die in Aufnahmeeinrichtungen, Gemeinschaftsunterkünften oder vergleichbaren sonstigen Unterkünften untergebracht sind, haben auch dann keinen Anspruch auf Leistungen nach den Bedarfssätzen für Personen in Wohnungen im Sinne des § 8 Abs 1 S 3 Regelbedarfs-Ermittlungsgesetz (juris: RBEG 2017) (§ 3a Abs 1 Nr 1 und Abs 2 Nr 1 AsylbLG), wenn sie zur gemeinschaftlichen Nutzung vorgesehene Räumlichkeiten wegen Vorgaben aufgrund der "Corona-Krise" nur eingeschränkt - im Besonderen nicht zeitgleich mit anderen Personen - nutzen können.

 

Normenkette

RBEG § 8 Abs. 1 Sätze 2-3; AsylbLG § 1 Abs. 1 Nr. 5, § 2 Abs. 1 Nr. 1, § 3 Abs. 1, § 3a Abs. 1 Nrn. 1, 2 Buchst. b, Abs. 2 Nrn. 1, 2 Buchst. b, § 6 Abs. 1; AsylG § 44 Abs. 1, § 53 Abs. 1; SGB XII § 23 Abs. 2, § 42 Abs. 2 S. 2, § 42a Abs. 2 S. 1 Nr. 2, S. 3; SGB XII Anl. zu § 28; SGB II § 41; SGG § 73a Abs. 1 S. 1, § 86b Abs. 2 Sätze 2, 4, § 144 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, S. 2, § 172 Abs. 3 Nrn. 1, 2 Buchst. b, § 193; ZPO § 114 Abs. 1 S. 1, § 127 Abs. 4, §§ 916-918, 920 Abs. 2; GG Art. 20 Abs. 3, Art. 100 Abs. 1

 

Tenor

Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Frankfurt (Oder) vom 23. April 2020 aufgehoben, soweit durch ihn der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe abgelehnt worden ist. Der Antragstellerin wird für das Verfahren vor dem Sozialgericht Frankfurt (Oder) Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung ab 1. April 2020 bewilligt und Rechtsanwalt V G beigeordnet.

Soweit sich die Beschwerde der Antragstellerin gegen die Ablehnung des Erlasses einer einstweiligen Anordnung durch den Beschluss des Sozialgerichts Frankfurt (Oder) vom 23. April 2020 richtet, wird sie zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten der Beschwerdeverfahren sind nicht zu erstatten.

Der Antragstellerin wird für das Beschwerdeverfahren gegen die Ablehnung des Erlasses einer einstweiligen Anordnung Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung ab 25. April 2020 unter Beiordnung von Rechtsanwalt V G gewährt. Im Übrigen wird der für die Beschwerdeverfahren gestellte Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe abgelehnt.

 

Gründe

Die Beschwerden, die sich sowohl gegen die Ablehnung des Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung als auch gegen die Ablehnung des Antrags auf Gewährung von Prozesskostenhilfe für das Verfahren erster Instanz durch den angefochtenen Beschluss richten, sind zulässig.

Sie sind im Besonderen nicht gemäß § 172 Abs. 3 Nr. 1 und Nr. 2 Buchst. b) Sozialgerichtsgesetz (SGG) ausgeschlossen, weil in der Hauptsache die Berufung der Zulassung bedürfte. Der Zulassung bedarf die Berufung gemäß § 144 Abs. 1 SGG, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes bei einer Klage, die eine Geld-, Dienst- oder Sachleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt betrifft, 750 Euro nicht übersteigt (Satz 1 Nr. 1), es sei denn, dass die Berufung wiederkehrende oder laufende Leistungen für mehr als ein Jahr betrifft (Satz 2).

Im Rahmen der Prüfung der Zulässigkeit der Beschwerde kann offen gelassen werden, welches Ziel genau die Antragstellerin mit ihrem erstinstanzlich gestellten Antrag verfolgt hat, ihr Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) „in Höhe des Regelbedarfssatzes 1 zu gewähren“ (das AsylbLG kennt keine Leistung nach nummerierten Regelbedarfsstufen). Dem übrigen Vortrag der Antragstellerin ist zu entnehmen, dass sie jedenfalls Leistungen unter Berücksichtigung der Bedarfssätze für alleinstehende Personen in eigener Wohnung gemäß § 3 Abs. 1 i.V. mit § 3a Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 2 Nr. 1 AsylbLG an Stelle der von Personen in Unterkünften gemäß § 3 Abs. 1 i.V. mit § 3a Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b) und Abs. 2 Nr. 2 Buchst. b) AsylbLG anstrebt, das heißt von (153 + 198 =) 351,-- € (Geldwert) an Stelle von (139 + 177 =) 316,-- € (Differenz: 35,-- €).

Das vor dem Sozialgericht anhängig gemachte Rechtsschutzanliegen könnte angesichts dessen zwar erst dann den Schwellenwert des § 144 Abs. 1 Nr. 1 SGG übersteigen, wenn es Leistungen für deutlich mehr als 12 Monate beträfe (und damit für einen Zeitraum, der die Dauer ausgesprochener einstweiliger Anordnungen betreffend Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts regelmäßig übersteigt). Eine Berufung in der Hauptsache wäre aber gemäß § 144 Abs. 1 Satz 2 SGG zulässig, weil im Sinne dieser Vorschrift laufende oder wiederkehrende Leistungen für mehr als ein Jahr betroffen sind. Zwar handelt es sich bei den bedürftigkeitsabhängigen Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nicht um rentengleiche Dauerleistungen. Das AsylbLG enthält aber auch keine Vorschrift, die den zulässigen Streitgegenstand eines Rechtsstreits in der Hauptsache von vornherein zeitlich festlegt ...

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