Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. einstweiliger Rechtsschutz. Anordnung der aufschiebenden Wirkung -Bindungswirkung. Voraussetzungen für die Änderung des Anordnungsbeschlusses
Leitsatz (amtlich)
Eine Änderung gemäß § 86b Abs 1 S 4 SGG kommt regelmäßig nur dann in Betracht, wenn nach der früheren Beschlussfassung neue Tatsachen eingetreten sind, neuer Vortrag aus nicht vom Antragsteller zu vertretenden Gründen bislang nicht vorgebracht werden konnte oder das zugrunde liegende Recht geändert wurde.
Orientierungssatz
Auch rechtskräftige Beschlüsse, die im vorläufigen Rechtsschutzverfahren ergangen sind, nehmen an der Bindungswirkung nach § 141 Abs 1 Nr 1 SGG für die Beteiligten eines solchen Verfahrens teil (vgl ua LSG Berlin-Potsdam vom 10.5.2016 - L 9 KR 513/15 KL ER).
Tenor
Der Antrag wird abgelehnt.
Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Gründe
I. Die Antragstellerin begehrt vorläufigen Rechtsschutz gegen einen Schiedsspruch der Antragsgegnerin, der gemeinsamen Schiedsstelle nach § 130b Abs. 5 Sozialgesetzbuch/Fünftes Buch (SGB V).
Die Antragstellerin brachte als pharmazeutische Unternehmerin erstmalig am 1. Juni 2014 das Arzneimittel Betmiga (Wirkstoff: Mirabegron, Wirkstärke 50 mg) in Deutschland in den Verkehr. Betmiga verfügt seit Dezember 2012 über eine europaweite arzneimittelrechtliche Zulassung der European Medicines Agency (EMA) für die Anwendungsgebiete “symptomatische Therapie von imperativem Harndrang, erhöhte Miktionsfrequenz und/oder Dranginkontinenz, die bei Erwachsenen mit überaktiver Blase (OAB, overactive bladder) auftreten können.„
Durch Beschluss vom 20. November 2014 hat der Beigeladene zu 2., der Gemeinsame Bundesausschuss, auf der Grundlage von § 35a SGB V den Nutzen des Wirkstoffs Mirabegron bewertet und entschieden, dass ein Zusatznutzen im Verhältnis zur zweckmäßigen Vergleichstherapie nicht belegt sei. Hierauf haben die Antragstellerin und der Beigeladene zu 1., der GKV-Spitzenverband, ergebnislos Verhandlungen nach § 130b Abs. 1 SGB V über den von den Krankenkassen für das Arzneimittel zu übernehmenden Erstattungsbetrag geführt. Mit Schiedsspruch vom 3. November 2015 hat die Antragsgegnerin u.a. den Erstattungsbetrag für das o.g. Arzneimittel ab dem 1. Juni 2015 auf 0,5510 Euro je Bezugsgröße festgesetzt. Am 30. November 2015 hat die Antragstellerin Klage gegen den Schiedsspruch erhoben (L 9 KR 514/15 KL) und zugleich ein Eilverfahren mit dem Ziel angestrengt, die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage zu erreichen.
Bereits zum 1. Juni 2015 hatte die Antragstellerin, weil sie ihre Preisvorstellungen für Betmiga bis dahin nicht durchsetzen konnte, den Vertrieb des Arzneimittels in Deutschland eingestellt, um zu verhindern, dass in der Lauer-Taxe als öffentlich zugänglicher Referenzquelle ein aus ihrer Sicht zu niedriger Abgabepreis gelistet werde, der europaweit eine Preisspirale nach unten in Gang hätte setzen können.
Mit Beschluss vom 10. Mai 2016 - L 9 KR 513/15 KL ER - hat der Senat die aufschiebende Wirkung der o.g. Klage gegen den o.g. Schiedsspruch der Antragsgegnerin angeordnet, soweit diese darin einen Erstattungsbetrag von weniger als 0,7256 Euro je Bezugsgröße festgesetzt hat; im Übrigen hat er den Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zurückgewiesen.
Am 19. Oktober 2016 hat die Antragstellerin die Änderung dieses Beschlusses beantragt. Zur Begründung trägt sie vor: Entgegen ihrer seinerzeitigen Annahme habe ihre globale Konzernzentrale es abgelehnt, Betmiga zu einem Preis unterhalb von 0,7256 Euro einzuführen. Die Wiederaufnahme des Vertriebs in Deutschland setze die uneingeschränkte Anordnung der aufschiebenden Wirkung voraus. Deren Begrenzung sei ohne inhaltliche Überprüfung des Beschlusses des Beigeladenen zu 2. erfolgt. Dieser sei jedoch aus mehreren Gründen offensichtlich rechtswidrig.
II. Der sinngemäße Antrag der Antragstellerin,
den Beschluss des Senats vom 10. Mai Juni 2016 zu ändern und die aufschiebende Wirkung der Klage (L 9 KR 514/15 KL) gegen den Schiedsspruch der Antragsgegnerin vom 3. November 2015 insgesamt anzuordnen,
hat keinen Erfolg.
1. Auch rechtskräftige Beschlüsse, die im vorläufigen Rechtsschutzverfahren ergangen sind, nehmen an der Bindungswirkung nach § 141 Abs. 1 Nr. 1 SGG für die Beteiligten eines solchen Verfahrens teil (Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 10. Mai 2016 - L 9 KR 513/15 KL ER -; Landessozialgericht Berlin, Beschluss vom 26. Oktober 2004 - L 15 B 88/04 KR ER -; Landessozialgericht Hamburg, Beschluss vom 27. Februar 2012 - L 3 R 12/12 B ER -; alle juris; Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Sozialgerichtsgesetz, 11. A., § 141 Rd. 5). Denn nicht nur im Hauptsache-, sondern auch im Anordnungsverfahren besteht ein Bedürfnis, durch das Institut der materiellen Rechtskraft einem fortgesetzten Streit unter den Beteiligten über denselben Streitgegenstand entgegenzuwirken, die Überlastung der Gerichte zu vermeiden sowie der Gefahr widersprechender Entscheidungen zu begegnen (BF...