Entscheidungsstichwort (Thema)
Leistungen der Hilfe zur Pflege des Sozialhilfeträgers in Form der Assistenzpflege im Rahmen des Arbeitgebermodells. Bindung an die Entscheidung der Pflegekasse. MDK-Gutachten. Beaufsichtigung und Betreuung. Besondere Pflegekraft
Orientierungssatz
1. Der Umfang der Leistungen für eine wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit hilfebedürftigen Person i. S. von § 61 Abs. 1 SGB 12 richtet sich nach den Vorschriften der §§ 61 bis 66 SGB 12.
2. Ist neben der häuslichen Pflege die Heranziehung einer besonderen Pflegekraft erforderlich oder eine Beratung oder zeitweilige Pflegeperson geboten, so sind die angemessenen Kosten vom Sozialhilfeträger zu übernehmen.
3. Die Entscheidung der Pflegekasse über das Ausmaß der Pflegebedürftigkeit nach dem SGB 11 ist nach § 62 SGB 12 der Entscheidung des Sozialhilfeträgers im Rahmen der Hilfe zur Pflege grundsätzlich zugrundezulegen.
4. Hat der Betroffene einen hohen Bedarf an Beaufsichtigung und Betreuung außerhalb der Pflege i. S. des § 14 Abs. 4 SGB 11, so ist dieser gemäß dem erweiterten Pflegebegriff des § 61 Abs. 1 S. 2 3. Alt. SGB 12 zu berücksichtigen.
5. Die entsprechende Pflege ist auch im sog. Arbeitgebermodell gemäß §§ 65 Abs. 1 S. 2 i. V. m. § 66 Abs. 4 S. 2 SGB 12 vorzunehmen. Angehörige können zur Übernahme der Pflege nicht verpflichtet werden.
Normenkette
SGB XII § 61 Abs. 1, §§ 62, 65 Abs. 1 S. 2, Abs. 2, § 66 Abs. 4 S. 2; SGG § 86b Abs. 2
Tenor
Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 11. Mai 2015 geändert.
Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, der Antragstellerin Leistungen der Hilfe zur Pflege in Form der Assistenzpflege im Rahmen des Arbeitgebermodells in Höhe von monatlich 4.390,19 Euro abzüglich der monatlichen Pflegegeldleistungen der Pflegekasse vorläufig für die Zeit vom 10. März 2015 bis zum 30. Juni 2015 und ab dem 7. September 2015 bis zum 31. Dezember 2015, längstens bis zur Entscheidung in der Hauptsache, zu gewähren.
Im Übrigen wird die Beschwerde der Antragstellerin zurückgewiesen.
Auf die Anschlussbeschwerde des Antragsgegners wird der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 11. Mai 2015 aufgehoben, soweit er die Bewilligung von Leistungen auch für die Monate Juli und August 2015 und für die Zeit vom 1. September bis 6. September 2015 angeordnet hat.
Im Übrigen wird die Anschlussbeschwerde des Antragsgegners zurückgewiesen.
Der Antragsgegner hat der Antragstellerin die außergerichtlichen Kosten des gesamten Rechtsstreits zu 4/5 zu erstatten.
Gründe
I.
Die Antragstellerin begehrt mit ihrer Beschwerde die Verpflichtung des Antragsgegners, ihr im Wege der einstweiligen Anordnung Assistenzpflege im Rahmen des Arbeitgebermodells im Umfang von acht Stunden täglich, statt, wie vom Sozialgericht angeordnet, im Umfang von 4,18 Stunden täglich, und zwar vom 10. März 2015 bis zum 31. Dezember 2015 statt, wie angeordnet, vom 11. Mai 2015 bis zum 31. Oktober 2015, zu gewähren. Der Antragsgegner begehrt mit seiner Anschlussbeschwerde die Aufhebung des Beschlusses des Sozialgerichts.
Die 1953 geborene Antragstellerin leidet laut Attest ihrer behandelnden Neurologin Dr. K vom 5. März 2015 an einem Zustand nach Embolisation einer AV-Fistel im Bereich des Sinus sigmoideus und Sinus transversus links mit Stauungsblutung nach Embolisation, einem Zustand nach Trepanation (operative Öffnung des Schädels) links temporal und Blutungsausräumung 1999 und einem Zustand nach linksseitiger Dekompressionskraniektomie (Entfernung von Teilen des Schädeldaches zur Besserung des Hirndrucks) bei massivem Hirnödem am 24. Oktober 1998. Für sie sind vom Versorgungsamt ein Grad der Behinderung (GdB) von 100 sowie die Merkzeichen aG (außergewöhnliche Gehbehinderung), H (Hilflosigkeit), B (Notwendigkeit ständiger Begleitung) und T (Telebusberechtigung) festgestellt. Seit Oktober 2002 war (und ist) die Antragstellerin von der Pflegekasse in die Pflegestufe III eingestuft. Sie stand zunächst unter Betreuung ihres Ehemannes, seit dem 20. März 2015 steht sie unter Betreuung von Dipl. Pflegewirt A.
Der 1950 geborene Ehemann der Antragstellerin, der Zeuge M (im Folgenden: der Zeuge), bezieht von der Deutschen Rentenversicherung Berlin-Brandenburg eine Rente wegen voller Erwerbsminderung. Für ihn sind vom Versorgungsamt ein GdB von 50 und das Merkzeichen G (erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr) festgestellt.
Mit Bescheid vom 5. November 2013 bewilligte der Antragsgegner der Antragstellerin Leistungen der Häuslichen Pflege in Form von acht Stunden Assistenzpflege täglich im Rahmen des Arbeitgebermodells, es wurden unter Abzug der Leistungen der Pflegekasse 3.690,19 Euro monatlich bewilligt. Als Bedingung war die Budgetverwaltung durch eine namentlich benannte Bevollmächtigte festgelegt.
Die Budgetverwalterin gab die Budgetverwaltung auf Grund von ihr angenommener Unregelmäßigkeiten sowie Auseinandersetzungen zwischen dem Ehemann (und damaligen Bet...