Entscheidungsstichwort (Thema)

Wesentlicher Beitrag zur Aufklärung des Sachverhalts. Begutachtung auf weiterem Fachgebiet. Schmerzen. Kostenentscheidung

 

Orientierungssatz

1. Eine Kostenübernahme für ein nach § 109 SGG erstelltes Gutachten kommt u. a. in Betracht, wenn sich nachträglich herausstellt, dass das Gutachten von Amts wegen hätte eingeholt werden müssen. Dabei ist zu berücksichtigen, ob das Gutachten die Sachaufklärung objektiv wesentlich gefördert und damit Bedeutung für die gerichtliche Entscheidung oder den Ausgang des Verfahrens gewonnen hat.

2. Erforderlich ist, dass das nach § 109 SGG erstellte Gutachten einen wesentlichen Beitrag zur Sachaufklärung geleistet hat.

3. Bei einer Entscheidung über die Beschwerde gegen die Ablehnung der Übernahme der Kosten eines Gutachtens nach § 109 SGG ist eine Kostenentscheidung erforderlich. Bei erfolgreicher Beschwerde trägt die Staatskasse die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers für das Beschwerdeverfahren.

 

Normenkette

SGG § 109 Abs. 1 S. 2, §§ 106, 193

 

Tenor

Auf die Beschwerde des Klägers wird der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 21. November 2018 aufgehoben.

Die Kosten Sachverständigengutachtens des Dr. W J vom 11. Oktober 2007 werden auf die Staatskasse übernommen.

Die Staatskasse trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers für das Beschwerdeverfahren.

 

Gründe

Die zulässige Beschwerde des Klägers vom 19. Dezember 2018 gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 21. November 2018, mit dem das Sozialgericht seinen Antrag abgelehnt hat, die Kosten für das nach § 109 SGG eingeholte Sachverständigengutachten von Dr. J vom 11. Oktober 2007 auf die Staatskasse zu übernehmen, ist begründet.

Nach § 109 Absatz 1 Sozialgerichtsgesetz - SGG - hat ein Kläger, auf dessen Antrag im sozialgerichtlichen Verfahren, wie hier, ein von ihm benannter Arzt als Gutachter seines Vertrauens gehört wird, auf Verlangen des Gerichts die Kosten vorzuschießen und vorbehaltlich einer anderen Entscheidung des Gerichts endgültig zu tragen.

Die Entscheidung darüber, ob die Kosten eines gemäß § 109 SGG eingeholten Gutachtens auf die Staatskasse zu übernehmen sind, ist zunächst eine Ermessensentscheidung des Gerichts, das das Gutachten angefordert hat (vgl. Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt SGG, 12. Aufl. 2017, § 109, Rn. 16). Im Beschwerdeverfahren ist das vom Sozialgericht ausgeübte Ermessen durch den Senat voll überprüfbar, da die Befugnis zur Ausübung des Ermessens in der Sache durch das Rechtsmittel der Beschwerde in vollem Umfang auf das Beschwerdegericht übergeht.Der Senat entscheidet im Rahmen der zu treffenden Sachentscheidung nach seinem Ermessen (Bayrisches LSG, Beschluss vom 19. Dezember 2012 - L 15 SB 123/12 B - juris, m. w. N.; LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 24. Oktober 2008 - L 6 SB 4170/08 KO-B - juris; anders noch Bayrisches LSG, Beschluss vom 15. Dezember 2008 - L 1 B 961/08 R, BeckRS 2009, 55809).

Die Kostenübernahme kommt in Betracht, wenn sich nachträglich herausstellt, dass das Gutachten von Amts wegen hätte eingeholt werden müssen. Bei dieser Entscheidung ist zu berücksichtigen, ob das Gutachten die Sachaufklärung objektiv wesentlich gefördert und somit Bedeutung für die gerichtliche Entscheidung oder den Ausgang des Verfahrens gewonnen hat (vgl. Keller, a.a.O., § 109 Rn. 16a). Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn es durch Aufzeigen bis dahin nicht berücksichtigter medizinischer Gesichtspunkte zur Aufklärung des Sachverhalts wesentlich beigetragen oder die Erledigung des Rechtsstreits in sonstiger Weise wesentlich gefördert hat. Dabei kann nur eine wesentliche Förderung der Sachaufklärung zu einer Kostenübernahme führen (Keller, a.a.O., § 109, Rn. 16a).

Von einer "wesentlichen" Förderung der Sachverhaltsaufklärung kann unter Anlegung eines objektiven Maßstabes dann ausgegangen werden, wenn zusätzliche neue Erkenntnisse gewonnen werden, die zu einer Entscheidung führen können, die auf Grundlage des bis dahin gewonnenen Ermittlungsergebnisses - insbesondere des Ergebnisses des Verwaltungsverfahrens und der im Gerichtsverfahren eingeholten Vorgutachten - nicht möglich gewesen wäre.

Unter Anwendung dieser Maßstäbe ist es gerechtfertigt, die Staatskasse mit den Kosten des nach § 109 SGG eingeholten Sachverständigengutachtens des Dr. J zu belasten.

Tatsächlich hat vorliegend das Gutachten des Dr. J wesentlich zur weiteren Sachverhaltsaufklärung beigetragen.

Zwar lag mit dem von Amts wegen nach § 106 SGG eingeholten Sachverständigengutachten des Dr. W bereits ein Gutachten auf orthopädischem Fachgebiet vor, welches nach ambulanter Untersuchung des Klägers und Berücksichtigung der mit den Akten vorliegenden ärztlichen Befundunterlagen bereits eine Beurteilung der Kausalität zwischen den von dem Kläger angegebenen Beschwerden und dem erlittenen und anerkannten Arbeitsunfall vom 4. Februar 2004 sowie Aussagen zur Bemessung der (unfallbedingten) Minderung der Erwerbsfähigkeit enthielt. Der Kläger hat jedoch im Klageverfahren ...

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