Entscheidungsstichwort (Thema)

Zulässigkeit der Berufung bei einem Rückforderungsbescheid über wiederkehrende Sozialleistungen. Umdeutung einer Nichtzulassungsbeschwerde in eine Berufung

 

Orientierungssatz

1. Betrifft die Berufung wiederkehrende oder laufende Leistungen für mehr als ein Jahr, so bedarf die Berufung gegen das erstinstanzliche Urteil gemäß § 144 Abs. 1 Satz 2 SGG nicht der Zulassung. Jedoch besteht ein berechtigtes Interesse des Rechtsmittelführers an der Aufhebung des unrichtigen Ausspruchs über die Nichtzulassung der Berufung.

2. Ist eine Nichtzulassungsbeschwerde nicht eröffnet, da eine Berufung keiner Zulassung bedarf, kann das als Nichtzulassungsbeschwerde eingereichte Rechtsmittel nicht in eine Berufung umgedeutet werden.

 

Tenor

Auf die Beschwerde des Klägers wird die Nichtzulassung der Berufung im Urteil des Sozialgerichts Cottbus vom 12. Mai 2009 aufgehoben.

Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.

Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

I.

Der Kläger begehrt die Zulassung der Berufung im Wege des Beschwerdeverfahrens. Streitig sind die Aufhebung und Erstattung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für die Zeit vom 01. Januar 2005 bis 31. Juli 2006 in Höhe von 561,00 EUR (Differenz zwischen Regelleistungen für Alleinstehende und Mitglieder einer Bedarfsgemeinschaft).

Der 1955 geborene Kläger und die 1958 geborene M Karl (vormals N) sind Eltern eines 1979 geborenen Kindes. Im Antrag auf Gewährung von Leistungen nach dem SGB II vom 22. November 2004 gab der Kläger an, dass er alleinstehend sei und mit Frau M N in Wohngemeinschaft lebe; sie führten keinen gemeinsamen Haushalt und wirtschafteten nicht aus einem Topf (Erklärung des Klägers vom 17. November 2004). Der Beklagte bewilligte dem Kläger für die Zeit vom 01. Januar 2005 bis 31. Juli 2006 Leistungen nach dem SGB II jeweils auf der Grundlage von Regelleistungen für Alleinstehende. Am 29. September 2006 schlossen der Kläger und Frau K die Ehe.

Nach Anhörung vom 14. November 2006 hob der Beklagte mit Bescheid vom 7. März 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. April 2007 seine Entscheidungen vom 7. Dezember 2004, 6. Mai 2005, 20. September 2005 und 10. April 2006 über die Bewilligung von Leistungen teilweise in Höhe von monatlich 33,00 EUR für die Zeit vom 01. Januar 2005 bis 31. August 2005 und 01. November 2005 bis 30. Juni 2006 sowie in Höhe von 34,00 EUR für die Zeit vom 01. bis 31. Juli 2006 auf mit der Begründung, dass der Kläger laut Auskunft des Einwohnermeldeamtes bereits seit 1993 in verschiedenen Wohnungen mit Frau K zusammenlebe. Im Fragebogen zur Überprüfung des Vorliegens einer eheähnlichen Gemeinschaft vom 12. April 2005 habe er angegeben, dass dies die erste gemeinsame Wohnung sei. Die Bewilligung sei erfolgt, weil der Kläger in seinem Antrag zumindest grob fahrlässig falsche Angaben gemacht habe. Von Beginn des Leistungsbezuges an habe eine eheähnliche Gemeinschaft vorgelegen. Hierfür spreche, dass der Kläger mit seiner jetzigen Ehefrau bereits seit 1993 zusammenlebe und auch Mietverträge gemeinsam abgeschlossen worden seien. Im Rahmen der Risikolebensversicherung des Klägers sei Frau K als Begünstigte angegeben. Die Befugnis zur teilweisen Rücknahme folge aus § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X). Das zu Unrecht gezahlte Arbeitslosengeld II (Regelleistung) in Höhe von 562,00 EUR sei von dem Kläger nach § 50 Abs. 1 SGB X zu erstatten.

Hiergegen hat der Kläger am 18. Mai 2007 bei dem Sozialgericht Potsdam Klage erhoben und zur Begründung u. a. ausgeführt, dass er nur eine Wohngemeinschaft mit seiner Ehefrau gebildet habe. Sie hätten räumlich voneinander innerhalb der Zweizimmerwohnung gelebt, weil er jahrelang erheblich dem Alkohol zugesprochen und im betrunkenen Zustand zu Gewalttätigkeiten geneigt habe. Erst 2006 habe er den Konsum von Alkohol eingestellt und seine jetzige Ehefrau gebeten, sich mit ihm “zusammenschreiben zu lassen„.

Mit Urteil vom 12. Mai 2009 hat das Sozialgericht Potsdam den Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 07. März 2007 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 27. April 2007 insoweit aufgehoben, als darin eine Rückforderung von mehr als 561,00 EUR erhoben worden war. Im Übrigen hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen und die Berufung im Tenor nicht zugelassen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass die Bewilligungsbescheide rechtswidrig begünstigende Verwaltungsakte seien, weil der Kläger zum Zeitpunkt ihres Erlasses Mitglied einer Bedarfsgemeinschaft gewesen sei. Damit sei er nicht im bewilligten Umfang hilfebedürftig gewesen. Er habe im streitgegenständlichen Zeitraum mit Frau K in einer eheähnlichen Gemeinschaft zusammengelebt. Der Kläger könne sich nicht auf schutzwürdiges Vertrauen in den Bestand der Bewilligungsbescheide berufen, da diese auf Angaben beruhten, die er grob fahrlässig bzw. sogar vorsätzlich in wesentlicher Beziehung unrichtig gemacht habe (§ 45 A...

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