Entscheidungsstichwort (Thema)

Leistungen für Unterkunft bei notwendig gewordenem Wohnungswechsel

 

Orientierungssatz

1. Nur in seltenen, besonders gelagerten Ausnahmefällen ist für die Bewilligung von Leistungen nach dem SGB 2 für einen zurückliegenden Zeitraum der erforderliche Anordnungsgrund zu bejahen.

2. Kosten für eine neue angemessene Unterkunft i. S. von § 22 SGB 2 sind zu übernehmen, wenn der Umzug des Hilfebedürftigen erforderlich war. Hierzu genügen untragbar gewordene Zustände in der bisherigen Wohnung. Ein nicht behebbarer Konflikt mit anderen Hausbewohnern berechtigt den Hilfebedürftigen, während des Leistungsbezuges, die Wohnung zu wechseln.

 

Tenor

Auf die Beschwerde der Antragsteller wird der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 2. April 2007 abgeändert.

Der Antragsgegner wird verpflichtet, den Antragstellern vorläufig, für Juli 2007, Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts, unter Berücksichtigung der tatsächlichen Kosten für Unterkunft und Heizung von monatlich 442,40 € zu gewähren.

Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.

Der Antragsgegner hat den Antragstellern deren Kosten des gesamten einstweiligen Rechtschutzverfahrens zu erstatten.

Der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren wird abgelehnt.

 

Gründe

Die gemäß § 172 Abs. 1 und § 173 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässige Beschwerde der Antragsteller gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 2. April 2007, der das Sozialgericht nicht abgeholfen hat, ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet. Im Übrigen ist die Beschwerde unbegründet.

Soweit die Antragsteller für die Zeit vom 1. März 2007 an höhere Leistungen begehren, richtet sich der einstweilige Rechtsschutz nach § 86 b Abs. 2 SGG. Denn der Antragsgegner hat den Antragstellern mit Bewilligungsbescheiden vom 6. Oktober 2006 und 9. November 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. Februar 2007 sowie den Änderungsbescheiden vom 14. Februar 2007 und 8. März 2007 Leistungen u. a. für den Bewilligungszeitraum vom 1. September 2006 bis zum 31. Juli 2007 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts gewährt und hierbei lediglich die von den Antragstellern bis zum 31. August 2006 aufgewandten Kosten für die Unterkunft und die Heizung in Höhe von 372,40 € monatlich statt der nach dem Umzug zum 1. September 2006 tatsächlich aufgewandten Kosten in Höhe von 442,00 € monatlich berücksichtigt. Die Antragsteller begehren mit dem einstweiligen Rechtsschutzantrag also eine über die ihnen bereits gewährte Rechtsposition hinausgehende Begünstigung. Dies können sie nur mittels einer Regelungsanordnung nach § 86 b Abs. 2 SGG erreichen.

Soweit die Antragsteller indes für den Zeitraum vom 1. März 2007 bis zum Zeitpunkt der Entscheidung des Senates höhere Leistungen begehren fehlt es an dem nach § 86 b Abs. 2 Satz 2 SGG notwendigen Anordnungsgrund. Es besteht auch insoweit keine besondere Dringlichkeit, die den Erlass einer einstweiligen Anordnung für die zurückliegenden Zeiträume erforderlich machen würde.

In einem Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Anordnung beurteilt sich das Vorliegen eines Anordnungsgrundes nach dem Zeitpunkt, in dem das Gericht über den Eilantrag entscheidet; im Beschwerdeverfahren ist dies der Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung (Schoch, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, Verwaltungsgerichtsordnung ≪VwGO≫, 12. Ergänzungslieferung 2005, § 123 Randnummern 165, 166 mit weiteren Nachweisen zur Parallelproblematik in § 123 VwGO). Dies folgt daraus, dass in dem Erfordernis eines Anordnungsgrundes ein spezifisches Dringlichkeitselement enthalten ist, welches im Grundsatz nur Wirkungen für die Zukunft entfalten kann. Die rückwirkende Feststellung einer - einen zurückliegenden Zeitraum betreffenden - besonderen Dringlichkeit ist zwar rechtlich möglich, sie kann jedoch in aller Regel nicht mehr zur Bejahung eines Anordnungsgrundes führen. Denn die prozessuale Funktion des einstweiligen Rechtsschutzes besteht vor dem Hintergrund des Artikels 19 Absatz 4 Grundgesetz (GG) darin, in dringenden Fällen effektiven Rechtsschutz zu gewährleisten, in denen eine Entscheidung im - grundsätzlich vorrangigen - Verfahren der Hauptsache zu spät käme, weil ohne sie schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Nachteile entstünden, zu deren nachträglicher Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre (Bundesverfassungsgericht, Beschlüsse vom 22. November 2002 - 1 BvR 1586/02 - NJW 2003, S. 1236 und vom 12. Mai 2005 - 1 BvR 569/05 - Breithaupt 2005, S. 803). Dies bedeutet aber zugleich, dass die Annahme einer besonderen Dringlichkeit und dementsprechend die Bejahung eines Anordnungsgrundes in aller Regel ausscheidet, soweit diese Dringlichkeit vor dem Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung vorgelegen hat, denn insoweit ist die besondere Dringlichkeit durch den Zeitablauf überholt, das Abwarten einer Entscheidung im Verfahren der Hauptsache über den zurückliegenden Zeitraum ist dem Rechtsschutzsuchenden in aller...

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