Entscheidungsstichwort (Thema)
Gesetzliche Rentenversicherung. Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit. Mehrstufenschema. Berücksichtigung eines Bewährungsaufstiegs. Verweisbarkeit eines Krankenpflegehelfers auf die Tätigkeit eines Pförtners. Verwertbarkeit eines Gutachtens bei Mitarbeit eines weiteren Arztes
Orientierungssatz
1. Insbesondere im öffentlichen Dienst ist zu beachten, dass Kurzpausen von weniger als 15 Minuten alle zwei Stunden nicht als Arbeitszeit verkürzende Pausen gelten (vgl LSG Berlin-Potsdam vom 7.9.2011 - L 16 R 423/09, LSG Stuttgart vom 26.10.2010 - L 11 R 5203/09 und LSG München vom 17.3.2011 - L 6 R 825/09). Stündliche Toilettengänge von ca 5 Minuten sind daher nicht als betriebsunübliche Arbeitsunterbrechungen anzusehen.
2. Die Grenze der erlaubten Mitarbeit mit der Folge der Unverwertbarkeit eines Sachverständigengutachtens ist überschritten, wenn aus Art und Umfang der Mitarbeit eines weiteren Arztes gefolgert werden kann, der beauftragte Sachverständige habe seine das Gutachten prägenden und regelmäßig in einem unverzichtbaren Kern von ihm selbst zu erbringenden Zentralaufgaben nicht selbst wahrgenommen, sondern delegiert (vgl BSG vom 5.5.2009 - B 13 R 535/08 B, vom 18.9.2003 - B 9 VU 2/03 B = SozR 4-1750 § 407a Nr 1, vom 15.7.2004 - B 9 V 24/03 B = SozR 4-1750 § 407a Nr 2, vom 30.1.2006 - B 2 U 358/05 B und vom 17.11.2006 - B 2 U 58/05 B = SozR 4-1750 § 407a Nr 3). Entscheidend ist, dass der Sachverständige die Schlussfolgerungen seines Mitarbeiters überprüft und durch seine Unterschrift die volle Verantwortung für das Gutachten übernimmt.
3. Bei psychiatrischen Gutachten muss der Gutachter die persönliche Begegnung mit dem Probanden und das explorierende Gespräch im wesentlichen Umfang selbst durchführen (vgl BSG vom 18.9.2003 - B 9 VU 2/03 B = SozR 4-1750 § 407a Nr 1).
4. Zur Verweisbarkeit eines Krankenpflegehelfers auf die Tätigkeit eines Pförtners.
5. Die Einordnung eines bestimmten Berufs in das Mehrstufenschema erfolgt nicht ausschließlich nach Maßgabe der einschlägigen förmlichen Berufsausbildung. Ausschlaggebend ist vielmehr die Qualität der verrichteten Arbeit, dh der aus einer Mehrzahl von Faktoren zu ermittelnde Wert der Arbeit im Betrieb (Dauer und Umfang der Ausbildung, besondere Anforderungen der bisherigen Berufstätigkeit (vgl BSG vom 12.2.2004 - B 13 RJ 34/03 R - SozR 4-2600 § 43 Nr 1).
6. Ein Bewährungsaufstieg, der nicht vom Erwerb höherwertiger Kenntnisse und Fähigkeiten abhängt, verleiht keine höherwertige Qualifikation (vgl BSG vom 28.11.1980 - 5 RJ 50/80 = BSGE 51, 50 = SozR 2200 § 1246 Nr 71, vom 3.11.1982 - 1 RJ 12/81 = SozR 2200 § 1246 Nr 102, vom 1.9.1999 - B 13 RJ 89/98 R und LSG München vom 18.12.2003 - L 14 RA 251/00).
Normenkette
SGB VI § 43 Abs. 1 S. 2, Abs. 2 S. 2, Abs. 3, § 240 Abs. 2 Sätze 2, 4, § 241 Abs. 1, § 99 Abs. 1 Sätze 1-2, § 198 S. 1; ZPO § 407a Abs. 2 Sätze 1-2; SGG § 118 Abs. 1 S. 1
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 30. April 2009 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I.
Streitig ist die Gewährung von Versichertenrente wegen voller Erwerbsminderung (EM), hilfsweise wegen teilweiser EM, hilfsweise wegen teilweiser EM bei Berufsunfähigkeit (BU) für die Zeit ab 1. September 2003 (Antragsmonat).
Die 1954 geborene Klägerin hatte vom 1. September 1971 bis 18. November 1972 in L (U), ihrem Geburtsort, eine Ausbildung zur Kinderkrankenschwester aufgenommen und diese im dritten Ausbildungsjahr “auf eigenen Wunsch„ abgebrochen (Bescheinigung des Ministeriums für Gesundheitswesen der U SSR - Medizinische Lehranstalt Nr. 1 L - vom 18. November 1972) und vom 28. April 1974 bis 27. Oktober 1975 in I den Beruf der Krankenpflegehelferin erlernt und war anschließend als “praktische Krankenschwester„ im Staatlichen Krankenhaus N tätig. Nach ihrer Übersiedlung nach D im Jahr 1977 war sie ab 1979 als Krankenpflegehelferin versicherungspflichtig beschäftigt, und zwar - nach Verleihung der Erlaubnis zur Führung der Berufsbezeichnung “Krankenpflegehelferin„ durch Urkunde des Senators für Gesundheit, Soziales und Familie von B (West) mit Wirkung vom 21. Januar 1983 - zuletzt vom 1. September 1983 bis 31. Dezember 1999 (ab 1. Januar 1996 im Umfang von 19,25 Stunden wöchentlich; Einstufung zuletzt in Vergütungsgruppe K 4 Fallgruppe 2 DRK-TV Berlin) als Hauskrankenpflegehelferin beim Deutschen Roten Kreuz (DRK) - Landesverband B Rotes Kreuz e.V -. Das Beschäftigungsverhältnis endete durch Kündigung der Klägerin aus gesundheitlichen Gründen. Seit Januar 2000 ist die Klägerin arbeitslos. Sie bezog ab 7. Januar 2000 Arbeitslosengeld (Alg) bzw Arbeitslosenhilfe und vom 1. Januar 2005 bis 31. März 2007 Alg II (Versicherungsverlauf vom 20. Februar 2012).
Bei der Klägerin ist ein Grad der Behinderung von 60 anerkannt aufgrund folgender Leiden: Fehlhaltung und Verschleißerscheinungen der Brust- und Lendenwirbelsäu...