Entscheidungsstichwort (Thema)
Richterablehnung. Zulässigkeit. Wartepflicht. prozessuale Überholung des Ablehnungsgesuch durch Endentscheidung
Leitsatz (amtlich)
Ein Ablehnungsgesuch bleibt im sozialgerichtlichen Verfahren ausnahmsweise auch dann zulässig, wenn der abgelehnte Richter unter Verstoß gegen die mit der Anbringung des Ablehnungsgesuchs ausgelöste Wartepflicht eine Endentscheidung getroffen hat, dieser Verstoß zur Aufhebung der erstinstanzlichen Entscheidung und Zurückverweisung der Sache an das Sozialgericht führen kann und für die diesbezügliche Entscheidung des Landessozialgerichts die Entscheidung über das Ablehnungsgesuch vorgreiflich ist (Fortentwicklung vom LSG Berlin, Beschluss vom 2. Februar 2005 - L 1 A 32/04 -).
Tenor
Das Gesuch des Klägers, den Richter am AW wegen Besorgnis der Befangenheit abzulehnen, ist begründet.
Gründe
Das Ablehnungsgesuch ist zulässig und begründet.
Der Senat hat sich bereits in seinem Beschluss vom 02. Februar 2005 - L 1 A 32/04 - (damals noch als 1. Senat des Landessozialgerichts Berlin) eingehend mit der Frage der Zulässigkeit eines Ablehnungsgesuchs in Fällen vorliegender Art auseinandergesetzt. Er hat darin ausgeführt:
“Zwar ist ein Ablehnungsgesuch nach § 60 Sozialgerichtsgesetz (SGG) i. V. m. § 42 Abs. 1 und 2 Zivilprozessordnung (ZPO) im Grundsatz unzulässig, wenn eine instanzbeendende Entscheidung in der Hauptsache ergangen ist. Sinn der Ablehnung ist es, einen Richter von der künftigen Ausübung des Richteramtes im Einzelfall auszuschließen. Dieser Zweck kann nicht mehr erreicht werden, wenn über den vollständigen Klageanspruch bereits durch Urteil entschieden ist. Ein Ablehnungsgesuch gegen einen Richter, der an diesem Urteil mitgewirkt hat, geht dann ins Leere.
An dieser Konsequenz ändert § 47 Abs. 2 ZPO in der seit dem 01.09.2004 geltenden Fassung nichts. Insbesondere lässt das Gesetz nicht zu, dass der abgelehnte Richter auch an Entscheidungen im Anschluss an die mündliche Verhandlung mitwirken darf, deren Wirksamkeit dann davon abhängt, ob die Ablehnung im Nachhinein für begründet erklärt wird. Der zur Entscheidung über das Ablehnungsgesuch berufene Spruchkörper ist auch in Ansehung dieser Vorschrift nicht befugt, verkündete Urteile in Durchbrechung ihrer Bindungswirkung (vgl. § 318 ZPO) aufzuheben. Schon nach seinem Wortlaut erlaubt § 47 Abs. 2 Satz 1 ZPO nur die Mitwirkung an der Verhandlung, nicht auch der anschließenden Entscheidung. Satz 2 der Regelung lässt ferner nicht erkennen, dass es im Falle des begründeten Befangenheitsgesuchs möglich sein soll, die Wirkungen der Verkündung einer Entscheidung, die nicht mehr Teil der mündlichen Verhandlung ist, sondern sich an diese anschließt (vgl. §§ 121, 124, 132 SGG), rückgängig zu machen. Eine andere Auslegung ergibt sich weder aus Sinn und Zweck der Norm noch aus ihrer Entstehungsgeschichte. Das Recht auf den gesetzlichen Richter verlangt, dass im Verfahrensrecht Vorsorge dafür getroffen werden muss, dass im Einzelfall ein Richter, der nicht die Gewähr der Unparteilichkeit bietet, von der Ausübung seines Amtes ausgeschlossen ist oder abgelehnt werden kann (BVerfGE 21, 139, 145f). Zur sinnvollen Geltendmachung des Ablehnungsrechts gehört dabei, dass vor der instanzbeendenden Entscheidung feststeht, ob das Gesuch begründet ist. Dies ist Hintergrund der in § 47 Abs. 1 ZPO normierten Wartepflicht des Richters. Vor allem auch für den Fall, dass das Gesuch nicht begründet ist, müssen die Beteiligten noch die Möglichkeit haben, ihr Verhalten auf die veränderte Prozesslage einzustellen (für die Ablehnung von Sachverständigen BSG SozR 3-1500 § 170 Nr. 5). Nur für die Entscheidung über einen rechtsmissbräuchlich, also etwa in beleidigender Absicht oder zur Verschleppung gestellten Befangenheitsantrag, der offensichtlich unzulässig ist, gilt anderes. Hier bedarf es weder einer dienstlichen Äußerung des abgelehnten Richters nach § 44 Abs. 3 ZPO, noch ist der abgelehnte Richter nach § 45 Abs. 1 ZPO von der Mitwirkung bei der Entscheidung über den Antrag ausgeschlossen. Die Wartepflicht des § 47 Abs. 1 ZPO gilt nicht (vgl. Zöller/Vollkommer ZPO, 25. Auflage, § 45 Rdnr. 4 m.w.N. aus der Rechtsprechung). Zwar nennt die Gesetzesbegründung zu § 47 Abs. 2 ZPO (BT-Drucks. 15/1508 S. 16) als Beispielsfall missbräuchlich gestellte Ablehnungsgesuche, bei denen eine Verzögerung vermieden werden soll. Die Vorschrift ist aber vom Wortlaut her nicht auf rechtsmissbräuchliche und deshalb schon unzulässige Gesuche beschränkt; ihren Hauptanwendungsbereich wird sie vor allem bei vom Standpunkt des Gerichts aus offensichtlich unbegründeten, nicht aber schon rechtsmissbräuchlich in Verschleppungsabsicht gestellten Gesuchen haben. Vor diesem Hintergrund verfolgt § 47 Abs. 2 ZPO eine Beschleunigung des Verfahrens nur dahin, dass der Termin - insbesondere wenn eine Beweisaufnahme stattfinden soll - fortgeführt werden kann. Erweist sich das Gesuch als unbegründet, braucht die Verhandlung nicht wiederholt zu werden. Dieses Ergebnis wird schließ...