Entscheidungsstichwort (Thema)
Eingeschränkte Wegefähigkeit. Angebot von Leistungen zur beruflichen Rehabilitation durch Mobilitätshilfe in Form von Übernahme der tatsächlichen Beförderungskosten zur Wahrnehmung von Vorstellungsgesprächen und zum Erreichen eines Arbeitsplatzes
Leitsatz (amtlich)
1. Ein ordnungsgemäßes Angebot von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben, welches die mangelnde Wegefähigkeit beseitigt, liegt nur bei Abgabe rechtsverbindlicher Erklärungen bezogen auf konkrete Leistungen durch den Rentenversicherungsträger vor.
2. Mobilitätshilfen, wie die Zusicherung der Übernahme von Beförderungskosten (Taxikosten) zur Wahrnehmung von Vorstellungsgesprächen, sind ebenso wie die Gewährung von Kfz-Hilfe zur Erreichung des Arbeitsplatzes in einem bestehenden oder konkret in Aussicht stehenden Arbeitsverhältnis zur Herstellung der Wegefähigkeit geeignete Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben.
Nachgehend
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 29. April 2010 aufgehoben und die Klage abgewiesen, soweit die Beklagte die Berufung nicht zurückgenommen hat.
Die Beklagte hat ein Viertel der außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu erstatten.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung (EM). Umstritten ist dabei insbesondere, ob die von der Beklagten erklärte Bereitschaft zur Übernahme der notwendigen Kosten für Taxifahrten zur Wahrnehmung von Vorstellungsgesprächen sowie - im Falle der Aufnahme eines Arbeitsverhältnisses - der tatsächlich anfallenden Beförderungskosten einem auf die eingeschränkte Wegefähigkeit der Klägerin gestützten Rentenanspruch für die Zeit ab dem 01. September 2008 entgegensteht.
Die 1963 in Polen geborene Klägerin erlernte dort von September 1978 bis Juni 1980 den Beruf einer Produktionshelferin für Lebensmittelproduktion und war als solche bis zu ihrer Ausreise im Jahr 1988 tätig. In Deutschland führte sie lediglich in den Jahren 1993 und 1998 bis 1999 ABM-Tätigkeiten als Friedhofsgärtnerin und Helferin in einer Baumschule aus und ist seitdem arbeitslos. Sie lebt mit ihrem zweiten Ehemann, einem Rentner, und der im Mai 2000 geborenen Tochter in einer Mietwohnung in der dritten Etage ohne Fahrstuhl. Seit April 2007 bezieht sie durchgehend Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II).
Die Klägerin, bei der seit Januar 2007 ein Grad der Behinderung (GdB) von 60 festgestellt und außerdem das Merkzeichen “G„ - erheblich gehbehindert - anerkannt ist, leidet vor allem an einem - erblich und durch Nikotinabusus bedingten - fortgeschrittenen arteriosklerotischen Gefäßleiden der Beine mit Ausbildung einer peripheren arteriellen Verschlusskrankheit im Stadium II b, außerdem an arteriellem Hypertonus und einer Herzerkrankung bei Zustand nach PTCA und Stentimplantation im April 2006. Im Jahr 2003 erfolgte die Anlage von Bypässen in beiden Beinen, die aber nach einigen Jahren wieder verschlossen waren. Es erfolgte zunächst eine konservative stationäre Behandlung (Bericht des H Krankenhauses vom 02. Juni 2006). Vom 22. Juni bis zum 13. Juli 2006 nahm die Klägerin an einer Rehabilitations-(Reha)maßnahme der Beklagten im Reha-Zentrum des H Krankenhauses teil, wobei die schmerzfreie Gehstrecke wegen der herabgesetzten Durchblutung der Unterschenkel jedoch nur auf etwa 70 bis 100 Meter verlängert werden konnte. Nach der sozialmedizinischen Leistungsbeurteilung war die Wegefähigkeit der Klägerin aufgehoben, im Übrigen wurde sie als für leichte bis mittelschwere Tätigkeiten über sechs Stunden arbeitstäglich mit qualitativen Einschränkungen als leistungsfähig erachtet, wobei ihr die zuletzt ausgeübte Tätigkeit der Helferin in einer Gärtnerei nicht mehr zugemutet werde könne. Die weiterhin vorliegende Waden- und Oberschenkel-Claudicatio besserte sich durch die konservative Therapie nur links, rechts jedoch kaum (Entlassungsbericht vom 19. Juli 2006). Eine kardiologische Kontrolluntersuchung vom 29. September 2006 (Facharzt für Innere Medizin S) erbrachte einen z. Z. stabilen Zustand bei nicht zunehmender Angina pectoris-Symptomatik und ohne Herzinsuffizienz-Zeichen oder schwerwiegende Herzrhythmusstörungen. Die vorgetragenen Beschwerden kämen zum Teil aus der Wirbelsäulen-(WS)Symptomatik. Am 10. Oktober 2006 wurde bei der Klägerin ein neuer Bypass im rechten Bein eingesetzt (Bericht vom 19. Oktober 2006).
Im Rahmen der Prüfung, ob Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben durch die Beklagte zu erbringen seien, erstattete die Ärztin für Innere Medizin Dr. W am 24. Januar 2007 nach Untersuchung der Klägerin ein Gutachten, in welchem sie zu den Diagnosen einer PAVK Stadium II b beider Beine, einer koronaren Eingefäßerkrankung, eines arteriellen Hypertonus und einer Hyperlipoproteinanämie (erhöhte Blutfettwerte) gelangte. Das Leistungsvermögen der Klägerin, die sehr gut deutsch spreche, sei für die zuletzt ausgeübte Tätigkeit a...