Entscheidungsstichwort (Thema)
Verpflichtung des Geldinstituts, dem Rentenversicherungsträger zu Unrecht erbrachte Geldleistungen zurückzuüberweisen
Orientierungssatz
1. Ein Geldinstitut kann sich auf den Auszahlungseinwand des § 118 Abs. 3 S. 3 SGB 6 ab dem Zeitpunkt nicht berufen, in dem es vom Ableben des Rentenempfängers Kenntnis oder Anlass zu einer entsprechenden Prüfung hat.
2. Bei § 118 Abs. 3 und 4 SGB 6 handelt es sich um ein privatrechtsverdrängendes öffentliches Sonderrecht des Staates, welches den Trägern der gesetzlichen Rentenversicherung besondere Ansprüche auf Rücküberweisung gegen bestimmte Privatrechtssubjekte zugesteht, die dem Zivilrecht vorgelagert sind. Nach Kenntnis vom Tod des Rentenbeziehers darf die Bank entsprechende Zahlungsaufträge nicht mehr ausführen, soweit dadurch das Kontoguthaben unterhalb des Schutzbetrags gesenkt wird. Tut sie es dennoch, so geht das zu ihren Lasten.
Normenkette
SGB VI § 102 Abs. 5, § 118 Abs. 1 Sätze 1-2, Abs. 3-4; BGB §§ 675c, 675o Abs. 2, § 675t Abs. 1 S. 1, § 675y Abs. 1
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 3. April 2014 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte trägt auch die Kosten des Berufungsverfahrens.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Der Streitwert wird für beide Instanzen auf jeweils 5.315,02 € festgesetzt.
Gründe
I.
Zwischen den Beteiligten steht in Streit, ob das beklagte Geldinstitut (rechtsfähige Anstalt des öffentlichen Rechts) verpflichtet ist, dem klagenden Rentenversicherungsträger zu Unrecht erbrachte Geldleistungen (Rentenzahlungen iHv 5.315,02 €) zurück zu überweisen.
Der 1942 geborene und 2008 verstorbene Dr. O K (im Folgenden: Rentenbezieher) bezog von der Klägerin eine Altersrente (AR; Versicherungsnummer ; Zahlbetrag zuletzt: 1.073,17 € monatlich ab 1. Juli 2008, zuvor monatlich 1.064,60 €). Die AR wurde auf ein bei der Beklagten errichtetes Girokonto des Rentenbeziehers überwiesen (Konto ), und zwar auch nach dem Tod des Rentenbeziehers jeweils mit Wertstellung zum 29. bzw 30. eines Monats und zuletzt für Oktober 2008 mit Gutschrift vom 30. Oktober 2008. Die Beklagte hatte seit dem 7. Juli 2008 Kenntnis vom Tod der Rentenbezieherin (vgl Schriftsatz vom 30. Dezember 2010; Auskunft vom 20. Oktober 2010). Am 17. November 2008 überwies die Beklagte das gesamte verbliebene Guthaben auf dem in Rede stehenden und am 3. November 2008 aufgelösten Konto iHv 8.510,72 € auf Veranlassung des Amtsgerichts Erfurt - Nachlassgericht - vom 21. Oktober 2008 (Eingang bei der Beklagten am 24. Oktober 2008) an die Staatskasse Thüringen; am selben Tag ging das Rückforderungsersuchen des Renten Service Leipzig bei der Beklagten ein. Auf die Kontenbewegungen seit 19. Mai 2008 wird Bezug genommen.
Am 13. November 2008 erhielt die Klägerin vom Rentenservice die Mitteilung, dass die Zahlung der Renten aufgrund des Todes des Rentenbeziehers eingestellt und die Rentenbeträge für Juni bis Oktober 2008 iHv 5.315,02 € zu Unrecht gezahlt worden seien. Mit Schreiben vom 10. November 2009 forderte die Klägerin die Beklagte auf, die überzahlten Rentenbeträge für Juni bis Oktober 2008 iHv 5.315,02 € zurück zu überweisen. Mit Schreiben vom 16. März 2010 antwortete die Beklagte, das Guthaben vor Eingang des Rückforderungsersuchens bereits an das Nachlassgericht überwiesen zu haben. Eine Erstattung komme daher mangels Guthabens nicht in Betracht.
Die Klägerin hat mit ihrer Klage beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an sie (die Klägerin) 5.315,02 € zu zahlen, dh die für Juni bis Oktober 2008 gezahlten Rentenbeträge abzüglich anteiliger Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge iHv 42,26 €. Das Sozialgericht (SG) Berlin hat die Beklagte antragsgemäß verurteilt (Urteil vom 3. April 2014). Zur Begründung ist ausgeführt: Die Klage sei zulässig und begründet. Die Beklagte könne sich auf den Auszahlungseinwand des § 118 Abs. 3 Satz 3 Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Rentenversicherung - (SGB VI) nicht berufen, weil sie bereits vor der Kontenauflösung Kenntnis vom Tod des Rentenbeziehers gehabt habe (Bezugnahme auf Bundessozialgericht - BSG -, Urteil vom 22. April 2008 - B 5a/4 R 79/06 R - juris).
Mit ihrer Berufung wendet sich die Beklagte gegen dieses Urteil. Sie trägt vor: Ein Geldinstitut könne bereits aus Rechtsgründen jedenfalls nicht für Verfügungen haftbar gemacht werden, die zwischen der Kenntnis des Geldinstituts vom Tod des Rentenempfängers und dem Erstattungsverlangen des Rentenversicherungsträgers getätigt würden. Dies verstoße gegen zivilrechtliche Regelungen und auch gegen Gemeinschaftsrecht. Ein Vorbehalt könne sich nach Maßgabe von § 118 Abs. 3 SGB VI allenfalls für die Zukunft nach Zugang des Aufforderungsschreibens ergeben, dürfe aber nicht in bereits abgeschlossene Zahlungsvorgänge eingreifen. Öffentliches bundesdeutsches Sonderrecht - wie in § 118 Abs. 3 SGB VI - könne das Zahlungsdienste-Recht nicht außer Kraft setzen, das eine Überweisung mit einseitigem Vorbehalt nicht kenne. Wegen der Einzelheiten des Vortrags der Beklagten zu...