Entscheidungsstichwort (Thema)
Hilfe zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten. Zurückstellung der Strafvollstreckung. Betäubungsmitteldelikte. stationäre Einrichtung. Zuständigkeit. Drogensucht. Ermessen. Zeitliche Beschränkung. Sozialhilfe. Beendigung eines Aufenthaltes in einer anerkannten Einrichtung gem § 35 BtMG. Ermessensreduzierung. sozialgerichtliches Verfahren. einstweiliger Rechtsschutz. Verfassungsmäßigkeit
Leitsatz (redaktionell)
Hilfe zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten nach den §§ 67 ff. SGB XII ist gegenüber anderen Leistungen nach dem SGB XII nur dann nachrangig, wenn letztere tatsächlich gewährt werden.
Orientierungssatz
1. Zum Vorliegen der Voraussetzungen eines Anspruchs auf Hilfe zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten gem § 67 SGB 12 iVm §§ 1, 2 der Verordnung zur Durchführung der Hilfe zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten (juris: BSHG§72DV 2001) (hier: Leistungen für einen früheren Drogensüchtigen nach Verlassen einer anerkannten Einrichtung iS des § 35 Abs 1 S 2 BtMG).
2. Ist der endgültige Umfang der notwendigen Hilfen iS der §§ 67ff SGB 12 noch nicht geklärt, so ist es nicht gerechtfertigt, den Hilfebedürftigen auf die Leistungen anderer Einrichtungen als derjenigen zu verweisen, in der er sich gegenwärtig aufhält. Der Ermessensspielraum des Sozialhilfeträgers ist insoweit auf Null reduziert.
3. Der Anordnung der Hilfen zur Beseitigung der Notlage gem §§ 67ff SGB 12 steht bei einem wegen Drogendelikten Straffälligen, der in einer Entziehungsklinik gem § 35 BtMG untergebracht war, nicht entgegen, dass dieser, wenn er sich nicht in einer solchen Einrichtung aufhielte, seinen Strafrest verbüßen müsste und durch den Aufenthalt in der Justizvollzugsanstalt (JVA) wenigstens Unterkunft und Verpflegung sichergestellt wären. Dies widerspräche der Verpflichtung der Gerichte, sich iS des Art 2 Abs 2 S 2 GG "schützend und fördernd vor die Grundrechte des Einzelnen zu stellen" (vgl BVerfG vom 12.5.2005 - 1 BvR 569/05 = Breith 2005, 803).
Normenkette
GG Art. 2 Abs. 2 S. 2; SGB XII §§ 67-69, 98 Abs. 2; VO-HBS §§ 1, 2 Abs. 1; BtMG § 35; SGG § 86b Abs. 2; ZPO § 920 Abs. 2
Tenor
Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Sozialgerichts Potsdam vom 13. November 2007 geändert. Der Beigeladene wird verpflichtet, für die Zeit vom 13. September 2007 bis zum 31. März 2008 Hilfen zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten gemäß der zwischen ihm und dem S H F e.V. geschlossenen Vereinbarung nach § 75 Abs. 3 Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch vom 23. Februar /16. März 2006 als vorläufige Leistung zu gewähren. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.
Der Beigeladene trägt die außergerichtlichen Kosten des Antragstellers für beide Rechtszüge zu zwei Dritteln.
Gründe
Die Beschwerde des Antragstellers ist teilweise begründet.
Ist - wie hier - eine begehrte Leistung (noch) nicht zuerkannt worden, setzt die einstweilige Verpflichtung zur Leistung voraus, dass bei summarischer Prüfung mit ausreichender Wahrscheinlichkeit ein Anspruch nach materiellem Recht (§ 86 b Abs. 2 Satz 4 Sozialgerichtsgesetz [SGG] in Verbindung mit §§ 920 Abs. 2, 916 ZPO; Anordnungsanspruch) und eine besondere Eilbedürftigkeit feststellbar sind (§ 86 b Abs. 2 Satz 4 SGG in Verbindung mit §§ 920 Abs. 2, 917, 918 ZPO; Anordnungsgrund).
Ein Anordnungsanspruch ist in Bezug auf den Beigeladenen ausreichend wahrscheinlich gemacht. Dessen örtliche und sachliche Zuständigkeiten sind gegeben. Die örtliche Zuständigkeit folgt aus § 98 Abs. 2 Satz 3 Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII), da sich der Antragsteller in seinem Bereich tatsächlich aufhält und ein Eilfall vorliegt. Die sachliche Zuständigkeit des Beigeladenen für die Gewährung der begehrten Hilfen nach §§ 67, 68 SGB XII folgt aus § 2 Abs. 1 des Brandenburger Gesetzes zur Ausführung des SGB XII (vom 6. Dezember 2006, GVBl. I S. 166).
Der Senat hat keine Zweifel daran, dass der Antragsteller zum Kreis der Leistungsberechtigten für diese Hilfen gehört. Dies sind Personen, bei denen besondere Lebensverhältnisse mit sozialen Schwierigkeiten verbunden sind, zu deren Überwindung sie aus eigener Kraft nicht fähig sind. Die auf Grund von § 69 SGB XII geltende Verordnung zur Durchführung der Hilfe zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten (VO-HBS) konkretisiert § 67 Satz 1 SGB XII dahingehend, dass Personen in besonderen sozialen Schwierigkeiten leben, wenn besondere Lebensverhältnisse derart mit sozialen Schwierigkeiten verbunden sind, dass die Überwindung der besonderen Lebensverhältnisse auch die Überwindung der sozialen Schwierigkeiten erfordert (§ 1 Abs. 1 Satz 1 VO-HBS). Besondere Lebensverhältnisse bestehen bei fehlender oder nicht ausreichender Wohnung, bei ungesicherter wirtschaftlicher Lebensgrundlage, bei gewaltgeprägten Lebensumständen, bei Entlassung aus einer geschlossenen Einrichtung oder bei vergleichbaren nachteiligen Umständen; sie können ihre Ursachen in äußeren Umständen oder in der Person der Hilfesuc...