Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsicherung für Arbeitsuchende. Leistungsausschluss für Ausländer bei Aufenthalt zur Arbeitsuche. Unionsbürger. Reiseunfähigkeit wegen Schwangerschaft. Abschiebungshindernis. Verfassungsrecht
Leitsatz (amtlich)
Es ist verfassungsrechtlich unter dem Aspekt der Menschenwürde iVm dem Sozialstaatsprinzip undenkbar, dass wegen eines Abschiebungshindernisses die Ausreise nicht verlangt werden kann, gleichzeitig aber kein Leistungsanspruch zuerkannt wird.
Tenor
Auf die Beschwerde der Antragstellerin vom 5. September 2019 gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 2. September 2019 wird dieser aufgehoben, soweit darin die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes abgelehnt worden ist.
Der Antragsgegner wird im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes verpflichtet, der Antragstellerin ab 20. August 2019 (Eingang des Antrags auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes beim Sozialgericht) bis zum 30. November 2019 vorläufig Regelleistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) im Monat August 2019 in Höhe von 124,37 € und in den Monaten September, Oktober und November 2019 in Höhe von 339,20 € zu gewähren sowie die anfallenden Kosten der Unterkunft im oben genannten Zeitraum, die derzeit der Höhe nach nicht festgestellt werden können, dem Grunde nach zu tragen.
Der Antragsgegner trägt die erstattungsfähigen außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin für das gesamte Verfahren.
Im Übrigen - d. h. im Hinblick auf die Ablehnung der Gewährung von Prozesskostenhilfe für das erstinstanzliche Verfahren - wird die Beschwerde zurückgewiesen.
Der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren wird abgelehnt.
Gründe
Die Beschwerde der Antragstellerin hat Erfolg. Zu Unrecht hat das Sozialgericht ihren Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes vollumfänglich abgelehnt. Die schwangere und nicht reisefähige Antragstellerin hat - zumindest - während der Zeit der Schutzfrist nach dem Mutterschutzgesetz aus humanitären Gründen einen Aufenthaltsstatus und damit auch einen Anspruch auf Gewährung von Leistungen.
Die am 2000 geborene Antragstellerin, die bulgarische Staatsangehörige ist, ist zurzeit ohne festen Wohnsitz. Mit Schreiben des Bezirksamtes L von B - Abteilung Stadtentwicklung, Soziales, Wirtschaft und Arbeit - Amt für Soziales - vom 10. September 2019 ist ihr für die Zeit vom 10. September 2019 bis zum 17. September 2019 ein Einzelzimmer in der Unterkunft „F F“, E Straße, B zugewiesen worden. Der Tagessatz für diese Unterkunftskosten inklusive Heiz-/Energiekosten beträgt 29,90 €.
Die Antragstellerin, die im März 2019 in die Bundesrepublik Deutschland eingereist ist, ist ausweislich eines Auszuges aus dem Mutterschutzpass schwanger. Der zunächst auf den 21. September 2019 errechnete Geburtstermin ist durch die Klinik für Geburtsmedizin der C mit Arztbrief vom 8. August 2019 auf den 27. September 2019 korrigiert worden. Daraus errechnet sich gemäß § 3 Abs. 1 Mutterschutzgesetz ein Beginn der Mutterschutzfrist am 9. August 2019 und gemäß § 3 Abs. 2 S. 1 Mutterschutzgesetz ein voraussichtliches Ende der Mutterschutzfrist am 27. November 2019.
Am 6. Juni 2019 stellte die Antragstellerin einen Antrag auf Gewährung von Leistungen nach dem SGB II, den der Antragsgegner mit Bescheid vom 7. Juni 2019 unter Hinweis darauf, dass Ausländer, die sich ausschließlich zum Zweck der Arbeitssuche in Deutschland aufhalten und weder über ein anderweitiges Aufenthaltsrecht noch über einen nachgehenden Arbeitnehmerstatus aus einer früheren Beschäftigung verfügen würden, gemäß § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II von Leistungen ausgeschlossen seien, ablehnte. Einen weiteren Antrag vom 16. August 2019 lehnte der Antragsgegner mit Bescheid vom 16. August 2019 ebenfalls ab. Gegen diesen Bescheid legte die Antragstellerin mit Schreiben vom 20. August 2019 Widerspruch ein und beantragte gleichzeitig beim Sozialgericht Berlin die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes. Sie trug insoweit vor, sie sei hilfebedürftig, ihr sei es aufgrund ihrer fortgeschrittenen Schwangerschaft gegenwärtig nicht zumutbar in ihr Heimatland zurückzureisen, ihr stehe ein Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II, hilfsweise jedenfalls nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) zu.
Mit Schreiben vom 15. August 2019 beantragte die Antragstellerin beim Bezirksamt L von B - Amt für Soziales - Fachstelle Wohnungsnotfälle - die Zuweisung in eine Obdachloseneinrichtung sowie die Gewährung von Leistungen nach dem SGB XII und reichte am 11. September 2019 einen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz beim Verwaltungsgericht bezüglich einer weiteren Unterbringung in einer Obdachloseneinrichtung ein.
Mit Beschluss vom 2. September 2019 lehnte das Sozialgericht Berlin den Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes sowie auf Gewährung von Prozesskostenhilfe ab und verwies im Wesentlichen darauf, dass die Antragstellerin gemäß § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II von Leistungen ausgeschlossen sei, da sie lediglich ein Aufenthalts...