Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialhilfe. Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung. kein Mehrbedarf wegen kostenaufwändiger Ernährung. Ulcus ventriculi und Neurodermitis. Krankenkostzulage. Empfehlungen des Deutschen Vereins. Anwendbarkeit für frühere Zeiträume
Orientierungssatz
1. Der Anspruch auf eine sog “Krankenkostzulage„ setzt voraus, dass zum einen wegen einer bestimmten Krankheit eine besondere Ernährung erforderlich ist und zum anderen diese mehr kostet, als im Regelsatz für Ernährung berücksichtigt ist.
2. Zwar ist nach dem aktuellen Stand der Ernährungsmedizin auf der Grundlage des Rationalisierungsschemas 2004 des Bundesverbandes Deutscher Ernährungsmediziner ua bei Ulcus ventriculi und Neurodermitis Hyperlipidämie keine spezielle Kostform einzuhalten, sondern eine “Vollkost„ angeraten. Für diese ist regelmäßig ein erhöhter Ernährungsaufwand zu verneinen. Nach den weiteren Ermittlungen des Deutschen Vereins ist der Ernährungsanteil im Regelsatz, der auf der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe 2003 beruht, ausreichend, um den Mindestaufwand für eine Vollkost zu bestreiten.
3. Die Empfehlungen des Deutschen Vereins vom 1.10.2008, die auf umfassenden ernährungsmedizinischen Studien und Kostenermittlungen unabhängiger Fachinstitutionen basieren, können als antizipierte Sachverständigengutachten herangezogen werden (vgl LSG Berlin-Potsdam vom 12.10.2010 - L 23 SO 130/06). Es bestehen keine Bedenken, diese Empfehlungen auf vorherige streitige Zeiträume - wie im vorliegenden Fall - anzuwenden.
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 22. August 2008 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I.
Die Beteiligten streiten um die Gewährung eines Mehrbedarfes für kostenaufwändige Ernährung.
Der Beklagte gewährte der 1963 geborenen Klägerin ergänzend zu der von ihr bezogenen unbefristeten Rente wegen Erwerbsunfähigkeit mit Bescheid vom 23. Dezember 2004 Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem 4. Kapitel des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch (SGB XII) ab dem 1. Januar 2005 bis auf weiteres, zunächst jedenfalls bis Dezember 2005. Im Verlauf des wegen der Leistungshöhe eingeleiteten Widerspruchsverfahrens machte die Klägerin u.a. geltend, dass sie wegen chronischer Erkrankungen einen Mehrbedarf für kostenaufwändige Ernährung habe. Sie reichte hierzu Bescheinigungen ihres Hausarztes H (Arzt für Allgemeinmedizin - Psychotherapie-) ein, denen zufolge sie an Ulcus ventriculi, Hepatitis C, Bulimie, chronischen Diarrhoen und Neurodermitis leide und einen Mehrbedarf wegen der erforderlichen eiweißdefinierten, zugleich vitaminreichen, aber säure- und allergenarmen Kost habe. Nach Einschaltung des Amts- und Vertrauensärztlichen Dienstes lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 3. März 2005 die Gewährung eines Mehrbedarfes ab, da die bei ihrem Krankheitsbild erforderliche Diät keine Mehrkosten erforderlich mache. Den Widerspruch wies der Beklagte durch Widerspruchsbescheid vom 30. August 2006 mit der ergänzenden Begründung zurück, dass den noch angeforderten ärztlichen Unterlagen nicht der Nachweis eines Ulcus ventriculi innerhalb der letzten fünf Jahre habe entnommen werden können.
Hiergegen hat die Klägerin am 15. September 2006 beim Sozialgericht Berlin Klage erhoben und weiterhin einen ernährungsbedingten Mehrbedarf geltend gemacht. Hierzu hat sie neben einem Attest der Diplompsychologin K vom 1. August 2007 eine Stellungnahme ihres Hausarztes H vom 7. November 2007 (nebst Kopien seiner früheren Atteste) übersandt, in der er u.a. ausgeführt hat, dass bei ihr auch ohne aktuellen Gastroskopiebefund klinisch die Diagnose eines Ulcus ventriculi gerechtfertigt sei. In diesem Fall müsse eine leichte Vollkost eingehalten werden. Die Patientin müsse selbst herausfinden, welche konkreten Nahrungsmittel für sie verträglich seien. Gleiches gelte bezüglich der Neurodermitis. Auch ohne nachgewiesene Überempfindlichkeit sei es den Patienten möglich, die von ihnen zu meidenden Nahrungsmittel herauszufinden. Diese Lebensmittel seien kostenaufwändiger als Normalkost. Ein leichtes Übergewicht der Klägerin widerlege nicht die bei ihr bestehenden Essstörungen.
Der Beklagte hat unter Vorlage einer amtsärztlichen Stellungnahme des Medizinaldirektors Dr. M vom 9. Oktober 2007 an seiner Auffassung festgehalten, dass bei den Leiden der Klägerin - so sie überhaupt nachgewiesen seien - eine leichte Vollkost angezeigt sei, die keine Mehrkosten verursache.
Das Sozialgericht hat die Klage mit Urteil vom 22. August 2008 abgewiesen. Sie sei mit dem auf den Mehrbedarf beschränkten Streitgegenstand zulässig, aber unbegründet. Die Klägerin habe keinen Anspruch auf Gewährung eines Mehrbedarfes wegen krankheitsbedingter kostenaufwändiger Ernährung nach § 30 Abs. 5 SGB XII.
Unabhängig davon, ob bei ihr die Diagnose eines Ulcus ventriculi gerechtfertigt sei, könne sie daraus keinen Anspruch ...