Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialgerichtliches Verfahren. Beschränkung des Streitgegenstands. Sozialhilfe. kein Mehrbedarf für kostenaufwändige Ernährung. Diabetes mellitus. Empfehlungen des Deutschen Vereins. keine spezielle Kostform. Vollkost. Regelsatz. Essattacke. medizinischer Bedarf

 

Orientierungssatz

1. Der Anspruch auf eine kostenaufwändige Ernährung gem § 30 Abs 5 SGB 12 kann als abgrenzbarer Teil des Anspruchs auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts eigenständig geltend gemacht werden. Dies gilt erst recht dann, wenn der Sozialhilfeträger eine Dauerregelung hinsichtlich der Gewährung eines Mehrbedarfs außerhalb der Entscheidung über die Gewährung der sonstigen Hilfe zum Lebensunterhalt trifft.

2. Für den Anspruch auf kostenaufwändige Ernährung ist erforderlich, dass wegen der Erkrankung eine Ernährung notwendig ist, die mit besonderen Kosten verbunden ist.

3. Bei Diabetes mellitus ist nach den Empfehlungen des Deutschen Vereins vom 1.10.2008 eine besondere, kostenintensive Ernährung nicht erforderlich; Vollkosternährung ist ausreichend. Die Erkrankung verlangt lediglich eine ausgewogene Mischkost, möglichst mit Vollkornprodukten. Eine solche ist aus dem Regelsatz finanzierbar.

4. Der erkennende Senat folgt der Rechtsprechung des LSG Neubrandenburg, nach der die Empfehlungen des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge vom 1.10.2008 als antizipierte Sachverständigengutachten zu berücksichtigen sind (Anschluss an LSG Neubrandenburg vom 19.12.2008 - L 8 B 386/08).

5. Essattacken bedingen nicht die Notwendigkeit einer kostenaufwändigen Ernährung. Diese führen allenfalls zu einem medizinischen Bedarf an Appetitzüglern bzw Medikamenten, der nicht über § 30 Abs 5 SGB 12 abzudecken ist.

 

Tenor

Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 17. Mai 2006 abgeändert: Die Klage wird insgesamt abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Rechtsstreits sind nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Der Beklagte wendet sich gegen seine Verurteilung zur Gewährung eines Mehrbedarfs wegen kostenaufwendiger Ernährung für die 1973 geborene Klägerin. Die Klägerin leidet seit ihrer Geburt an einer mittelschweren Minderbegabung (Rötelninfektion der Mutter während der Schwangerschaft), einer Anpassungsstörung mit gemischter Störung von Gefühlen und Sozialverhalten, einer Polyphagie, Adipositas per magna sowie einem Diabetes mellitus.

Unter Vorlage einer ärztlichen Bescheinigung vom 1. November 2004 zur Anerkennung eines Mehrbedarfs für kostenaufwendige Ernährung beantragte die Klägerin einen Mehrbedarf. Bei einer Körpergröße von 153 cm und einem Körpergewicht von 107 kg besteht nach der ärztlichen Bescheinigung des Arztes für Innere Medizin R S ein Diabetes mellitus Typ I bei konventioneller Insulintherapie. Der Antrag wurde mit Bescheid vom 11. Mai 2005 abgelehnt. Eine kostenaufwendige Ernährung sei nicht erforderlich. Den hiergegen am 20. Mai 2005 erhobenen Widerspruch, der u. a. damit begründet worden ist, dass durch die schwere Intelligenzminderung die Klägerin nicht in der Lage sei, ihr Essverhalten zu steuern, es zu schweren “Fressattacken„ komme, wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 31. August 2005 zurück.

Hiergegen hat die Klägerin am 04. Oktober 2005 beim Sozialgericht Berlin Klage erhoben und u. a. beantragt,

den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 11. Mai 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 31. August 2005 zu verurteilen, bei der Sozialhilfegewährung ab 01. Januar 2005 einen Mehrbedarf in Höhe von 51,13 € wegen kostenaufwendiger Ernährung zu berücksichtigen.

Das Sozialgericht hat mit Urteil vom 17. Mai 2006 den Beklagten entsprechend verurteilt und wegen weiterer - im Berufungsverfahren nicht streitgegenständlicher - Ansprüche die Klage abgewiesen. Die Stattgabe hat es auf die Empfehlungen des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge (DV) aus dem Jahre 1997 gestützt, die einen Mehrbedarf von 51,13 € monatlich bei einem Diabetes mellitus Typ I bei konventioneller Insulintherapie vorsahen. Ein solcher Anspruch bestehe auch für die Vergangenheit. Es sei davon auszugehen, dass der Berechtigte den Bedarf in der Vergangenheit durch Abstriche im Rahmen der anderen im Regelsatz pauschal enthaltenen Bedarfe realisiert habe.

Gegen das dem Beklagten am 08. Juni 2006 zugestellte Urteil hat dieser am 21. Juni 2006 Berufung eingelegt. Ein Mehrbedarf sei bei Diabetes mellitus nicht mehr zu gewähren. Dies folge aus neuen medizinischen Erkenntnissen.

Der Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 17. Mai 2006 abzuändern und die Klage insgesamt abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie ist der Auffassung, dass auch nach Vorlage der neuen Empfehlungen des DV vom 01. Oktober 2008 ein Anspruch der Klägerin bestehe. Die so genannte “Vollkost„ sei - anders als der DV annehme - aus dem Eckregelsatz nicht zu finanzieren. Insbesondere stützten sich die Empfehlungen auf Unterlagen, ...

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