Entscheidungsstichwort (Thema)
Wiedereinsetzung in vorigen Stand. Anwaltsverschulden. Unzulässigkeit der bedingten Klageerhebung. rechtswidrige Bewilligung von Arbeitslosengeld II bei Erwerbsunfähigkeit. kein Anspruch auf weitere Leistungen wie Mehrbedarf
Leitsatz (amtlich)
1. Eine unter der Bewilligung von Prozesskostenhilfe bedingt erhobene Klage ist unzulässig. Jedenfalls bei anwaltlich vertretenen Klägern besteht in diesen Fällen regelmäßig kein Grund für eine Wiedereinsetzung nach § 67 SGG.
2. Werden einem Hilfebedürftigen, welcher nicht erwerbsfähig iS von § 8 SGB 2 ist, rechtswidrig Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB 2 bewilligt, kann dieser nicht weitere Leistungen - wie etwa einen Mehrbedarf nach § 21 Abs 5 SGB 2 - geltend machen, solange kein Fall des § 44a Abs 1 S 3 SGB 2 vorliegt.
Tenor
Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 19. Oktober 2009 wird zurückgewiesen.
Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe
Die statthafte und zulässige Beschwerde (§§ 172, 173 Sozialgerichtsgesetz [SGG]) ist nicht begründet. Das Sozialgericht hat den Antrag der Klägerin auf Gewährung von Prozesskostenhilfe zu Recht abgelehnt. Die Klägerin hat keinen Anspruch nach § 73a Abs. 1 Satz 1 SGG in Verbindung mit §§ 114 Satz 1, 115, 119 Abs. 1 Satz 1 Zivilprozessordnung (ZPO) auf Gewährung von Prozesskostenhilfe für das Verfahren vor dem Sozialgericht Berlin. Die Gewährung von Prozesskostenhilfe setzt nach den genannten Vorschriften voraus, dass die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg hat und nicht mutwillig erscheint.
Die Klage ist bereits unzulässig, da sie bislang nicht wirksam erhoben ist und dies nicht mehr innerhalb der Monatsfrist des § 87 Abs. 1 S. 1 SGG nachgeholt werden kann. Die Verfahrensbevollmächtigte der Klägerin hat “ausdrücklich nur unter der Bedingung der Bewilligung von Prozesskostenhilfe„ Klage erhoben (Unterstreichung wie in der Klageschrift). Die Auslegung dieser Erklärung ergibt nach Auffassung des Senats, dass in dem Schriftsatz vom 31. Juli 2009 keine wirksame Klageerhebung zu sehen ist (vgl. zum Folgenden: Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 3. Januar 2007 - L 5 B 1178/06 AS PKH, juris).
Grundsätzlich wird nach § 90 i. V. m. § 94 SGG eine Klage in Schriftform mit Eingang bei Gericht rechtshängig. Eine wirksame Klageerhebung darf unter keiner Bedingung stehen; eine bedingte Klageerhebung, zum Beispiel für den Fall der Prozesskostenhilfebewilligung, ist unzulässig (vgl. Leitherer in Meyer-Ladewig / Keller / Leitherer, SGG-Kommentar, 9. Aufl. 2008, § 90 SGG Rn. 4, § 73 a SGG Rn. 5b; Bundessozialgericht, Urteil vom 13. Oktober 1992, 4 RA 36/92, SozR 3-1500 § 67 Nr. 5; Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 27. Mai 2009 - L 19 B 217/08 AS, juris). Allein ein Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wahrt die Rechtsbehelfsfrist (§ 87 SGG) nicht; die Auslegung muss im Zweifelsfall ergeben, ob neben dem Prozesskostenhilfeantrag auch Klage erhoben werden sollte. Grundsätzlich kann es sich (1.) um einen unabhängig von der Prozesskostenhilfebewilligung eingelegten oder (2.) um einen unter der Bedingung der Prozesskostenhilfegewährung erhobenen und damit unzulässigen Rechtsbehelf oder schließlich (3.) um einen Schriftsatz handeln, der lediglich einen der Begründung des Prozesskostenhilfeantrages dienenden Entwurf eines erst zukünftig einzulegenden Rechtsbehelfs enthält. Im Rahmen der Auslegung kommt es nicht auf den inneren Willen der Beteiligten, sondern auf den in der Erklärung verkörperten Willen an (Bundessozialgericht, a. a. O.; Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 16. Oktober 1990 - 9 B 92/90, Buchholz 310 § 166 VwGO Nr. 22).
Zur Überzeugung des Senats handelt es sich vorliegend um eine unter der Bedingung der Prozesskostenhilfegewährung erhobene und damit unzulässige Klage. Eine am Empfängerhorizont orientierte Auslegung lässt kein anderes Ergebnis zu. Durch den Zusatz, dass Klage “ausdrücklich nur unter der Bedingung der Bewilligung von Prozesskostenhilfe„ erhoben werde, hat die Verfahrensbevollmächtigte der Klägerin eindeutig zum Ausdruck gebracht, dass mit dem Schriftsatz vom 31. Juli 2009 nur das Prozesskostenhilfeverfahren eingeleitet und die Durchführung des Klageverfahrens von der Prozesskostenhilfebewilligung abhängig gemacht werden sollte. Dies mag ein im Zivilprozess zur Vermeidung eines Kostenrisikos gängiges Verfahren sein, das seine Grundlage in § 253 Abs. 1 i. V. m. § 261 Abs. 1 ZPO hat. Unerheblich ist, dass die Verfahrensbevollmächtigte der Klägerin dem Rechtsirrtum unterlag, die Klageerhebung im sozialgerichtlichen Verfahren folge denselben Regeln wie im Zivilprozess. Damit ist der angefochtene Bescheid bestandskräftig geworden; eine wirksame Klageerhebung liegt nicht vor. Ein Wiedereinsetzungsantrag ist nicht gestellt und hätte auch keine Aussicht auf Erfolg: der Rechtsirrtum, der in der Übertragung der zivilp...