Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. außerklinische Intensivpflege. einstweiliger Rechtsschutz. Sicherstellung der Versorgung. Arbeitgebermodell. angestellte Nichtfachkraft
Leitsatz (amtlich)
Zur Gewährung von Leistungen der außerklinischen Intensivpflege nach § 37c SGB V im einstweiligen Rechtsschutzverfahren.
Orientierungssatz
1. Eine Organisation der außerklinischen Intensivpflege durch den Versicherten mit von ihm selbst beschäftigten Pflegekräften (sog Arbeitgebermodell) ist - trotz der grundsätzlich bei der Selbstbeschaffung von Leistungen bestehenden Beschränkung auf die Inanspruchnahme von Pflegediensten - jedenfalls dann nicht ausgeschlossen, wenn die außerklinische Intensivpflege anders nicht sicherzustellen ist (vgl BSG vom 10.11.2022 - B 3 KR 15/20 R = BSGE 135, 105 -110 = SozR 4-2500 § 37 Nr 20, RdNr 12ff).
2. Der Einwand der Krankenkasse, dass es sich bei der eingestellten Kraft nicht um eine Pflegefachkraft handele, steht einem Kostenerstattungsanspruch aus § 37c Abs 4 S 1 SGB 5 zumindest im vorliegenden Einzelfall nicht entgegen, da die Krankenkasse die Kostenerstattung nicht mit der Begründung verweigern darf, der Versicherte habe sich keine geeignete Pflegefachkraft gesucht, wenn sie die Leistung - wie hier - selbst nicht stellen kann.
Tenor
Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Sozialgerichts Neuruppin vom 21. März 2024 geändert.
Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller für den Zeitraum vom 24. Mai 2024 bis zum 31. Dezember 2024, längstens jedoch bis zum rechtskräftigen Abschluss des beim Sozialgericht Neuruppin anhängigen Hauptsacheverfahrens S 32 KR 88/23, vorläufig die tatsächlichen Kosten für Leistungen der außerklinischen Intensivpflege durch selbstbeschaffte, im Arbeitgebermodell beschäftigte Pflegekräfte, höchstens jedoch Kosten in Höhe von monatlich 13.313,43 €, zu erstatten.
Im Übrigen werden die Beschwerden zurückgewiesen.
Die Antragsgegnerin hat dem Antragsteller die Hälfte seiner notwendigen außergerichtlichen Kosten für beide Rechtszüge zu erstatten.
Gründe
I.
Der Antragsteller begehrt im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die Gewährung von Leistungen der außerklinischen Intensivpflege, hilfsweise häusliche Krankenpflege, im Umfang von 12 Stunden täglich durch Übernahme bzw. Erstattung der Kosten für selbstbeschaffte, von ihm beschäftigte Pflegekräfte.
Der am 15. Februar 1945 geborene Antragsteller ist bei der Antragsgegnerin gesetzlich krankenversichert. Er ist seit dem Jahr 2010 an einem atypischen Parkinson-Syndrom erkrankt und leidet zudem an einer schweren orthostatischen Dysregulation, die zu starken Blutdruckabfällen bei Lagewechseln (Wechsel zwischen Liegen, Sitzen, Stehen, Gehen, Stehenbleiben) mit Schwindel und Bewusstseinsverlusten führt und in der Vergangenheit teils schwere Verletzungen sowie daraus resultierende Krankenhausaufenthalte zur Folge hatte. Seit Dezember 2022 verordnete die behandelnde Fachärztin für Neurologie durchgehend häusliche Krankenpflege im Umfang von täglich 24 Stunden.
Mit Schreiben vom 24. Februar 2023 beantragte der Antragsteller bei der Antragsgegnerin ein persönliches Budget für 24 Stunden häusliche Krankenpflege, da seine ihn bisher pflegende Ehefrau dies gesundheitlich nicht mehr gewährleisten könne. Mit Bescheid vom 17. Mai 2023 lehnte die Antragsgegnerin diesen Antrag ab, weil eine spezielle Krankenbeobachtung durch eine Pflegekraft von der Krankenkasse nur dann zu finanzieren sei, wenn mit hoher Wahrscheinlichkeit die sofortige pflegerische / ärztliche Intervention bei lebensbedrohlichen Situationen täglich erforderlich sei und nur die genauen Zeitpunkte und das genaue Ausmaß nicht im Voraus bestimmt werden könnten. Diese Voraussetzungen lägen nicht vor. Hiergegen legte der Antragsteller Widerspruch ein, den die Antragsgegnerin nach Einholung eines Gutachtens des Medizinischen Dienstes vom 10. August 2023 mit Widerspruchsbescheid vom 16. August 2023 zurückwies. Hiergegen erhob der Antragsteller Klage, welche beim Sozialgericht Neuruppin unter dem Aktenzeichen S 32 KR 88/23 anhängig ist.
Mit am 04. Januar 2024 beim Sozialgericht Neuruppin eingegangenem Schriftsatz hat der Antragsteller den Erlass einer einstweiligen Anordnung beantragt, mit der er ursprünglich die Gewährung von Behandlungspflege nach § 37 Abs. 2 SGB V im Umfang von täglich 24 Stunden in Form eines Persönlichen Budgets in Höhe von monatlich 34.885,18 € begehrt hat.
Mit Beschluss vom 21. März 2024 hat das Sozialgericht Neuruppin die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller vorläufig für die Zeit vom 22. März 2024 bis zum 15. April 2024, längstens jedoch bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache, häusliche Krankenpflege in Form der Interventionsbereitschaft durch eine Fachkraft für 12 Stunden täglich an sieben Tagen pro Woche zu gewähren. Für den Fall der bis zum 15. April 2024 erfolgenden Vorlage einer Folgeverordnung für häusliche Krankenp...