Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsicherung für Arbeitsuchende: Sanktionierung pflichtwidrigen Verhaltens. Anforderung an die wirksame Zuweisung zu einer Unterstützungsmaßnahme
Orientierungssatz
Eine gegenüber einem Empfänger von Leistungen zur Grundsicherung für Arbeitsuchende angeordnete Eingliederungsmaßnahme muss so bestimmt sein, dass der Grundsicherungsempfänger klar erkennen kann, was genau von ihm gefordert ist (hier: verneint für die Zuweisung zu nicht konkretisierten Maßnahmen zur Unterstützung bei Anbahnung und Aufnahme einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung). Fehlt es an dieser Bestimmtheit, kommt die Anordnung einer Sanktion wegen einer Nichtwahrnehmung der Eingliederungsmaßnahme nicht in Betracht.
Tenor
Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 10. Juni 2016 geändert.
Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen den Bescheid vom 23. Mai 2016 wird angeordnet.
Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.
Der Antragsgegner hat dem Antragsteller die notwendigen außergerichtlichen Kosten des gesamten Verfahrens zu erstatten.
Gründe
Die Beschwerde hat im Umfang des Hilfsantrags (Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gegen den Bescheid vom 23. Mai 2016) Erfolg.
Die Beschwerde ist zulässig. Allerdings ist das Sozialgericht im Rahmen der umfassenden Abweisung des Antrags davon ausgegangen, der Antragsteller habe sinngemäß nur die Anordnung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs beantragt. Tatsächlich hat er indes als Hauptantrag ausdrücklich die Feststellung der Nichtigkeit des Bescheides vom 23. Mai 2016 begehrt. Es handelt sich bei der fehlerhaften Auslegung eines Antrags unter Ausklammerung eines geltend gemachten Anspruchs jedoch um einen Verfahrensfehler und nicht um einen Fall der Notwendigkeit eines Ergänzungsverfahrens nach § 140 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) vor dem Sozialgericht. Der Senat war daher nicht gehindert, im Rahmen der Beschwerde zu entscheiden (vgl. für Berufungsverfahren Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 26. August 1994 - Az.: 13 RJ 9/94; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Auflage, 2014, Rn. 2c zu § 140 m.w.N.).
Der Hauptantrag auf Feststellung der Nichtigkeit des Bescheides vom 23. Mai 2016 ist unbegründet. Es kann dahinstehen, ob der Feststellungsantrag als solcher auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG zulässig ist. Jedenfalls ist er unbegründet. Der Sanktionsbescheid vom 23. Mai 2016 ist nicht nichtig im Sinne des § 40 Abs. 1 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X). Hiernach ist ein Verwaltungsakt nichtig, soweit er an einem besonders schweren Fehler leider und dies bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommender Umstände offensichtlich ist. Diese Voraussetzungen liegen offenkundig nicht vor.
Der ausdrücklich hilfsweise gestellte Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gegen den Bescheid vom 23. Mai 2016 ist zulässig und begründet.
Der Antrag ist statthaft. Nach § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG kann das Gericht in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen. Vorliegend hat der erhobene Widerspruch nach § 39 Nr. 1 des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch (SGB II) keine aufschiebende Wirkung kraft Gesetzes.
Bei der Entscheidung über die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ist das Interesse am Vollzug des angefochtenen Verwaltungsaktes mit dem Interesse des Antragstellers an der Aussetzung des Vollzugs abzuwägen. Das Aussetzungsinteresse überwiegt stets, wenn sich der angefochtene Verwaltungsakt im Rahmen der im vorläufigen Rechtsschutz gebotenen summarischen Prüfung als rechtswidrig erweist oder zumindest ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit bestehen (vgl. zu diesem Maßstab § 80 Abs. 4 Satz 3 der Verwaltungsgerichtsordnung), weil ein Interesse am Vollzug solcher Verwaltungsakte regelmäßig nicht besteht. Mithin kommt es auf die Erfolgsaussichten einer gedachten Anfechtungsklage in der Hauptsache an.
In Anwendung dieses Maßstabs ist die aufschiebende Wirkung vorliegend anzuordnen.
Es bestehen ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheides vom 23. Mai 2016.
Der Senat lässt offen, ob der Bescheid vom 23. Mai 2016 formell rechtmäßig ist, woran aufgrund der falschen Bezugnahme auf ein Angebot vom 17. Februar 2016 (tatsächlich: Datum des Beginns der Maßnahme) zumindest Zweifel bestehen.
Die Feststellung des Eintritts einer (aufgrund der vorangegangenen Sanktionsbescheide: weiteren) Pflichtverletzung mit der Folge des Wegfalls des Anspruchs auf Arbeitslosengeld II nach § 31a Abs. 1 Satz 3 SGB II kommt hier nur in der Konstellation einer Pflichtverletzung nach § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB II in Betracht. Voraussetzung hierfür wäre, dass der Antragsteller sich trotz schriftlicher Belehrung über die Rechtsfolgen oder deren Kenntnis eine zumutbare Maßnahme zur Eingliederung in Arbeit nicht angetreten, abgebrochen oder Anlass ...