Entscheidungsstichwort (Thema)
Versorgung des Hilfebedürftigen mit einer Brille durch einstweiligen Rechtsschutz
Orientierungssatz
1. Die Kosten einer ärztlich verordneten Brille stellen keinen Mehrbedarf i. S. des § 21 SGB 2 dar.
2. Der Bedarf an einer Multifokalbrille ist auch kein unabweisbarer Bedarf i. S. des § 23 Abs. 1 S. 1 SGB 2.
3. Bei der Kostenübernahme für eine Brille handelt es sich nicht um den elementaren Lebensbedarf eines Menschen. Deshalb ist der Erlass einer einstweiligen Anordnung nicht geboten. Wegen Fehlens eines Anordnungsgrundes ist der Antragsteller auf das Hauptsacheverfahren zu verweisen.
Tenor
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 23. März 2006 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch für das Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.
Der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren wird abgelehnt.
Gründe
I.
Der am 1955 geborene Antragsteller begehrt im Wege der einstweiligen Anordnung u.a. die Zusage des Antragsgegners, die Kosten für eine Brille unter Verzicht auf eine Aufrechnung mit dem Regelsatz zu übernehmen.
Dr. med. W verordnete dem Antragsteller am 30. Januar 2006 eine Brille und bezeichnete diese als Multifokalbrille. Der Antrag auf Kostenübernahme für eine Brille vom 31. Januar 2006 wurde von dem Antragsgegner mit Bescheid vom 14. Februar 2006 abgelehnt. Dagegen hat der Antragsteller mit Schriftsatz vom 18. Februar 2006 Widerspruch eingelegt. Am 20. Februar 2006 beantragte er den Erlass einer einstweiligen Anordnung.
Mit Beschluss vom 23. März 2006 hat das Sozialgericht Berlin diesen Antrag abgelehnt und zur Begründung ausgeführt, dass ein Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht worden sei. Der nach § 23 Abs. 1 Satz 1 des zweiten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB II) unabweisbare Bedarf sei von dem Antragsteller nicht glaubhaft gemacht. Aus der vorgelegten ärztlichen Verordnung ergebe sich nicht, dass der Antragsteller auf eine Multifokalbrille angewiesen sei. Es sei vielmehr davon auszugehen, dass dem Antragsteller zumindest bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache zuzumuten sei, mit preiswerten Sehhilfen auszukommen. Auch habe der Antragsteller nicht glaubhaft gemacht, dass er nicht in der Lage wäre, die Kosten für eine Multifokalbrille aus eigenem Vermögen nach § 12 Abs. 2 Satz 4 SGB II aufzubringen.
Gegen diesen dem Antragsteller am 28. März 2006 zugestellten Beschluss wendet er sich mit seiner am 26. April 2006 eingegangenen Beschwerde, der das Sozialgericht nicht abgeholfen hat.
Zur Begründung führt der Antragsteller im Wesentlichen aus, dass er kein Vermögen habe und nicht in der Lage sei, die Brille zu finanzieren. Soweit das Sozialgericht in der angefochtenen Entscheidung das Vorhandensein von Vermögen behaupte, stelle dies eine Überraschungsentscheidung dar, denn er sei auf diesen Punkt nicht hingewiesen worden. Es sei ihm nicht möglich, die Aufwendungen für den Kauf einer Brille mit dem Regelsatz zu bestreiten. Auch sei seine Schwerbehinderung bei der Bestimmung der Bedarfslage zu berücksichtigen. Eine Schwerbehinderung sei immer mit Kosten verbunden. Dies spreche für einen unabweisbaren Bedarf. Der Beschluss stelle eine Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes dar. Die Kosten für ärztlich verordnete Medikamente würden übernommen werden, wenn sie Therapiestandard darstellen würden. Dagegen werde die Übernahme von ärztlich verordneten Brillen, die Therapiestandard seien, ausgeschlossen. Mit der ärztlichen Verordnung würde vorliegend zudem die medizinische Notwendigkeit bewiesen. Es sei vom Sozialgericht nicht dargelegt worden, woher es die medizinischen Kenntnisse habe zur Beurteilung der Notwendigkeit einer ärztlichen Verordnung. Dies sei jedoch erforderlich, wenn das Gericht eine weitere Sachaufklärung ablehne. Der Beschluss sei in mehreren Punkten widersprüchlich.
Der Antragsteller beantragt sinngemäß,
den Beschluss vom 23. März 2006 aufzuheben und den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, die Kosten für die Anschaffung einer Multifokalbrille unter Verzicht auf eine Aufrechnung mit der Regelleistung zu übernehmen.
Der Antragsgegner beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Er hält den angefochtenen Beschluss für zutreffend.
II.
Die zulässige Beschwerde ist nicht begründet. Das Sozialgericht hat den Antrag zu Recht abgelehnt, weil die Voraussetzungen für die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes nicht vorliegen.
Nach § 86 b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG - sind einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Voraussetzung ist, dass sowohl ein Anordnungsanspruch (d.h. ein nach der Rechtslage gegebener Anspruch auf die einstweilig begehrte Leistung) wie auch ein Anordnungsgrund (im Sinne einer Eilbedürftigkeit des Verfahrens) bestehen. Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch sind glaubhaft...