Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsicherung für Arbeitsuchende. Tilgung mehrerer Darlehen durch Aufrechnung. Begrenzung des Aufrechnungsbetrages auf 10 % des Regelbedarfs. verfassungskonforme Auslegung. Tilgungsreihenfolge
Orientierungssatz
1. Unter verfassungskonformer Auslegung ist die Höhe der Tilgung mehrerer Darlehen durch Aufrechnung gem § 42a Abs 2 S 1 SGB 2 auf den Betrag von insgesamt 10 % des maßgeblichen Regelbedarfs begrenzt.
2. Lässt sich nicht feststellen, welches das zuerst erbrachte Darlehen iS von § 42a Abs 6 SGB 2 ist, so greift die gesetzliche Tilgungsreihenfolge gem § 366 Abs 2 BGB.
Tenor
Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 6. Juli 2015 geändert.
Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, der Antragstellerin die mit Bescheid vom 30. März 2015 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 18.Juni 2015 bewilligten Leistungen ab 01. August 2015 vorläufig bis zur Entscheidung in der Hauptsache längstens bis 30. April 2016 unter Einbehalt eines aufzurechnenden Betrages von 39,90 Euro ( jeweils 5 % von 399 Euro gemäß den in beiden Bescheiden vom 24. März 2015 verfügten Aufrechnungen) auszuzahlen.
Im Übrigen wird die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 6. Juli 2015 zurückgewiesen.
Der Antragsgegner hat der Antragstellerin 75% ihrer außergerichtlichen Kosten beider Instanzen zu erstatten.
Der Antragstellerin wird Prozesskostenhilfe für beide Instanzen bewilligt.
Rechtsanwältin G, K-Straße in B wird beigeordnet.
Gründe
I.
Die Antragstellerin bezieht mit ihren drei Kindern Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II).
Mit Bescheid vom 24. März 2015 bewilligte der Antragsgegner der Antragstellerin ein Darlehen nach § 24 Abs. 1 SGB II in Höhe von 2.025,50 Euro. Weiter wurde in dem Bescheid verfügt, nach § 42 a Abs. 2 SGB II sei das Darlehen durch monatliche Aufrechnung bis zu 10 v. H. der Regelleistung zu tilgen. Die der Antragstellerin zustehende Regelleistung werde ab 1. April 2015 in monatlichen Raten in Höhe von derzeit 39,90 Euro aufgerechnet.
Mit weiterem Bescheid vom 24. März 2015 gewährte der Antragsgegner der Antragstellerin ein Darlehen in Höhe von 1.237,14 Euro gemäß § 22 Abs. 6 SGB II i. V. m. § 4 Abs. 1 Nr. 2 SGB II im Hinblick auf die erteilte Zusicherung zu den Aufwendungen für eine neue Wohnung und für die Übernahme einer Mietkaution. Bestandteil dieses Bescheides seien die Vereinbarungen im Darlehensvertrag vom 24. März 2015. Insbesondere sei der Darlehensgeber nach § 42 a Abs. 2 SGB II berechtigt, bei fortdauerndem Leistungsbezug das Darlehen mit der laufenden Leistung zu verrechnen. Der Aufrechnungsbetrag sei auf 10 Prozent des Regelbetrages festgelegt (39,90 Euro). Die Aufrechnung erfolge ab 1. April 2015.
Zuvor hatte der Antragsgegner der Antragstellerin mit Bescheid vom 8. April 2014 ein Darlehen in Höhe von 556,37 Euro bewilligt und hatte darin verfügt, das Darlehen werde ab 1. Mai 2014 in monatlichen Raten in Höhe von 10 Prozent des maßgeblichen Regelbedarfs (39,10 Euro) aufgerechnet.
Mit Bescheid vom 30. März 2015 (in der Fassung des Änderungsbescheides vom 18.Juni 2015) bewilligte der Antragsgegner der Antragstellerin und ihren Kindern für die Zeit vom 1.Mai 2015 bis 30.April 2016 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts (für die Antragstellerin Regelbedarf 399 Euro, Mehrbedarfe 143,64 Euro sowie Bedarfe für Unterkunft und Heizung). Dabei brachte der Antragsgegner von den der Antragstellerin bewilligten Leistungen monatliche Beträge in Abzug mit der Angabe “Zahlungsempfänger Jobcenter, Rechtsgrundlage § 42 a SGB II-Darlehen„ und zwar monatlich für die Zeit von Mai 2015 bis Juli 2015 119,70 Euro, für August 2015 87,17 Euro und für September 2015 bis April 2016 jeweils monatlich 79, 80 Euro.
Mit Schreiben des Humanistischen Verbandes Deutschlands (HVD) vom 7.Mai 2015, das auch von der Antragstellerin unterzeichnet ist, wurde darum gebeten, der Antragstellerin nur 10 % “der HLU„ monatlich abzuziehen. Mit Bescheid vom 22. Mai 2015 (ohne Rechtsmittelbelehrung) teilte der Antragsgegner der Antragstellerin mit, sie bitte um Senkung der Aufrechnungsbeträge, hierzu teile er mit, dass dies leider nicht möglich sei, da die Aufrechnung bis zu 30 Prozent des Regelbedarfs gesetzlich geregelt sei.
Mit dem an den Antragsgegner gerichteten Schreiben des HVD vom “ 7. Mai 2015„, - Fax vom 29.Mai 2015 - das auch von der Antragstellerin unterzeichnet ist, wurde Bezug genommen auf die erfolgte Ablehnung zum Antrag auf Reduzierung der Aufrechnung auf 10 Prozent des Regelbedarfs vom 22. Mai 2015, worin unter Übersendung eines Gerichtsurteils erneut gebeten wurde, nur 10 % “der HLU„ abzuziehen. Auf dem Schreiben ist handschriftlich vermerkt: „Nach Rs mit SB N soll keine Reaktion erfolgen, da Gerichtsurteil Einzelfallentscheidung„.
Mit Schreiben vom 17. Juni 2015 stellte die Antragstellerin anwaltlich vertreten einen Überprüfungsantrag hin...