Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsicherung für Arbeitsuchende. Eingliederungsleistungen zur Fortsetzung der selbstständigen Erwerbstätigkeit. Leistungen der freien Förderung. Übernahme der Kosten des Arbeitszimmers
Orientierungssatz
Die Kosten eines erforderlichen Arbeitszimmers zur Fortsetzung einer selbständigen Tätigkeit können im Rahmen der freien Förderung gem § 16f SGB 2 berücksichtigt werden, wenn zumindest die Verringerung des Umfangs der Hilfebedürftigkeit zu erwarten ist. Eine selbständige Tätigkeit ist nicht erst dann als tragfähig anzusehen, wenn die Hilfebedürftigkeit vollständig beseitigt wird.
Tenor
Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 29. April 2010 geändert. Der Antragsgegner wird verpflichtet, der Antragstellerin vorläufig weitere Leistungen in Höhe von 126,00 (einhundertsechsundzwanzig) Euro monatlich ab dem 19. Mai 2010 bis zur Bestandskraft einer Entscheidung über ihren Antrag vom 14. September 2009, längstens bis zum 31. Oktober 2010 zu erbringen. Die Beschwerden im Übrigen werden zurückgewiesen.
Der Antragsgegner hat der Antragstellerin die ihr entstandenen Kosten des Antrags- und des Beschwerdeverfahrens zu erstatten.
Der Antrag der Antragstellerin, ihr Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren zu bewilligen und die Rechtsanwältin J E beizuordnen, wird abgelehnt.
Gründe
Die Beschwerde der Antragstellerin hat in dem sich aus der Beschlussformel ergebenden Umfang Erfolg.
Keine Leistungen sind in der Regel für die Zeit vor der Entscheidung des Senats, frühestens aber ab Eingang der Beschwerde beim erkennenden Gericht zu erbringen. Maßgebend sind - auch im Beschwerdeverfahren - in der Regel die tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (vgl. Beschluss des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 18. Oktober 2007 - L 28 B 1637/07 AS ER -; erkennender Senat, Beschluss vom 4. September 2009 - L 14 AS 1063/09 B ER -, nicht veröffentlicht; Schoch, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO), 12. Ergänzungslieferung 2005, § 123 Rdnrn. 165, 166 m. w. N. zur Parallelproblematik in § 123 VwGO). Dies folgt daraus, dass in dem Erfordernis eines Anordnungsgrundes ein spezifisches Dringlichkeitselement enthalten ist, welches im Grundsatz nur Wirkungen für die Zukunft entfalten kann. Die rückwirkende Feststellung einer - einen zurückliegenden Zeitraum betreffenden - besonderen Dringlichkeit ist zwar rechtlich möglich, sie kann jedoch in aller Regel nicht mehr zur Bejahung eines Anordnungsgrundes führen. Denn die prozessuale Funktion des einstweiligen Rechtsschutzes besteht vor dem Hintergrund des Artikels 19 Abs. 4 Grundgesetz (GG) darin, in dringenden Fällen effektiven Rechtsschutz zu gewährleisten, in denen eine Entscheidung im - grundsätzlich vorrangigen - Verfahren der Hauptsache zu spät käme, weil ohne sie schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Nachteile entstünden, zu deren nachträglicher Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre (Bundesverfassungsgericht [BVerfG], Beschlüsse vom 22. November 2002 - 1 BvR 1586/02 - und vom 12. Mai 2005 - 1 BvR 569/05 -). Dies bedeutet aber zugleich, dass die Annahme einer besonderen Dringlichkeit und dementsprechend die Bejahung eines Anordnungsgrundes in aller Regel ausscheidet, soweit diese Dringlichkeit vor dem Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung vorgelegen hat, denn insoweit ist die besondere Dringlichkeit durch den Zeitablauf überholt, das Abwarten einer Entscheidung im Verfahren der Hauptsache über den zurückliegenden Zeitraum ist dem Rechtsschutzsuchenden in aller Regel zumutbar.
Hierbei ist allerdings zu berücksichtigen, dass das Gebot des effektiven Rechtsschutzes nach Artikel 19 Abs. 4 GG in besonderen Fällen ausnahmsweise auch die Annahme eines Anordnungsgrundes für zurückliegende Zeiträume verlangen kann, so insbesondere dann, wenn anderenfalls effektiver Rechtsschutz im Hauptsacheverfahren nicht erlangt werden kann, weil bis zur Entscheidung im Verfahren der Hauptsache Fakten zum Nachteil des Rechtsschutzsuchenden geschaffen worden sind, die sich durch eine - stattgebende - Entscheidung im Verfahren der Hauptsache nicht oder nicht hinreichend rückgängig machen lassen. Dies schließt dann nicht aus, bei der Beschwerdeentscheidung auch auf einen früheren Zeitpunkt ab Antragstellung der einstweiligen Anordnung beim Sozialgericht abzustellen. Derartige Umstände sind hier jedoch nicht ersichtlich. Ein Zeitablauf nach Eingang der Beschwerde(akten) bei Gericht - die Beschwerde war am 17. Mai 2010 beim Sozialgericht eingelegt worden - darf der Antragstellerin aber nicht zum Nachteil gereichen.
Der Antragstellerin sind indes vorläufig Leistungen zur Fortsetzung ihrer selbständigen Erwerbstätigkeit in Form der Übernahme der Aufwendungen für ihr Arbeitszimmer in Höhe des Unterschiedsbetrages zwischen dem von ihr geschuldeten Bruttomietzinses (in Höhe von 450,- Euro monatlich zzgl. der [in di...