Entscheidungsstichwort (Thema)

Überlanges Gerichtsverfahren. Entschädigungsklage. verspätete Verzögerungsrüge. Warnfunktion. sozialgerichtliches Verfahren. Absendung der Ladung zur abschließenden mündlichen Verhandlung als zeitliche Grenze

 

Leitsatz (amtlich)

Auch wenn § 198 Abs 3 GVG keine ausdrückliche Regelung dazu enthält, bis wann eine Verzögerungsrüge spätestens bei Gericht eingegangen sein muss, bedeutet dies nicht, dass diese beliebig spät an das Gericht herangetragen werden kann.

Der Zeitpunkt, ab dem eine Verzögerungsrüge als verspätet anzusehen ist, ist anhand des mit der Rüge verbundenen Zwecks, zum einen dem bearbeitenden Richter die Möglichkeit zu einer beschleunigten Verfahrensförderung zu eröffnen, zum anderen die Möglichkeit des Duldens und Liquidierens auszuschließen, zu bestimmen.

Hat ein Gericht Termin zur mündlichen Verhandlung anberaumt und die Ladungsschreiben bzw Benachrichtigungen vom Termin abgesandt, ist eine danach eingehende Verzögerungsrüge verspätet. Dies gilt unabhängig davon, für welchen Zeitpunkt der Eingang der Mitteilung vom Termin bestätigt wird.

 

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Der Kläger begehrt eine Entschädigung wegen überlanger Dauer des vor dem Sozialgericht Potsdam unter dem Aktenzeichen S 45 AS 535/16 geführten Verfahrens. Dem Ausgangsverfahren lag folgender Sachverhalt zugrunde:

Mit seiner durch seinen jetzigen Bevollmächtigten für ihn am 23. März 2016 erhobenen Klage wandte der seinerzeit Leistungen zur Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Sozialgesetzbuch beziehende Kläger sich gegen den Bescheid des beklagten Jobcenters vom 05. Januar 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. Februar 2016, mit dem dieses ihn aufgefordert hatte, einen Rentenantrag zu stellen. Zugleich beantragte er die Bewilligung von Prozesskostenhilfe.

Nachdem in dem unter dem Aktenzeichen S 45 AS 535/16 registrierten Verfahren am 20. April 2016 die Erwiderung des damaligen Beklagten beim Sozialgericht eingegangen war, gewährte dieses dem Kläger mit Beschluss vom 22. April 2016 Prozesskostenhilfe unter Beiordnung seines Bevollmächtigten, übersandte letzterem die Klageerwiderung zur freigestellten Stellungnahme und verfügte den Vorgang in das Sitzungsfach.

Anfang Oktober 2016 übersandte das Sozialgericht die Gerichts- und die Verwaltungsakten antragsgemäß dem Landessozialgericht Berlin-Brandenburg zum Aktenzeichen L 14 AS 670/16 B ER. In diesem Verfahren hatte der 14. Senat mit Beschluss vom 04. April 2016 unter Aufhebung einer anderslautenden erstinstanzlichen Entscheidung den Antrag des hiesigen Klägers auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen den Bescheid vom 05. Januar 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. Februar 2016 abgewiesen. Die Akten gelangten am 18. November 2016 an das Sozialgericht zurück und wurden dort erneut in das Sitzungsfach verfügt.

Mit richterlicher Verfügung vom 14. Februar 2019 beraumte das Sozialgericht Termin zur mündlichen Verhandlung auf den 19. März 2019 an. Unter dem 18. Februar 2019 wurden der damalige Beklagte sowie der Kläger zum Termin geladen und dessen Bevollmächtigter vom Termin benachrichtigt. Während der damalige Beklagte den Empfang mit Datum vom 19. Februar 2019 bestätigte und dem Kläger die Ladung am 20. Februar 2019 zugestellt wurde, gab der Bevollmächtigte auf seinem am 28. Februar 2019 beim Sozialgericht eingegangenen Empfangsbekenntnis als Zeitpunkt des Empfangs den 21. Februar 2019 an. Am 20. Februar 2019 erhob er beim Sozialgericht Verzögerungsrüge.

In Vorbereitung der mündlichen Verhandlung richtete das Sozialgericht unter dem 12. März 2019 Anfragen an die dortigen Beteiligten. Der Bevollmächtigte des Klägers sowie der damalige Beklagte informierten daraufhin das Gericht erstmals, dass das Jobcenter bereits am 15. April 2016 den Ersetzungsantrag gestellt hatte, dem Kläger - nach Anerkennung eines Grades der Behinderung von 70 mit Bescheid des Versorgungsamtes vom 10. Mai 2016 - auf seinen entsprechenden Antrag vom 17. Mai 2016 vom Rentenversicherungsträger mit Bescheid vom 06. Juni 2016 eine Altersrente für Schwerbehinderte bewilligt worden war und das Jobcenter seine Akten in dem Verfahren bereits im Juli 2016 geschlossen hatte. Der Kläger erklärte schließlich am 15. März 2019 den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt.

Am 13. September 2019 hat sein Bevollmächtigter für ihn Entschädigungsklage erhoben und die Verurteilung des Beklagten zur Gewährung einer Entschädigung in Höhe von 2.634,75 € nebst Zinsen sowie die Bewilligung von Prozesskostenhilfe begehrt. Der Kläger meint, ihm stehe zum einen eine Entschädigung in Höhe von 2.300,00 € zu, da das Verfahren bei einer Gesamtdauer von 35 Monaten eine entschädigungspflichtige Verzögerung im Umfang von 23 Monaten aufweise. Zum anderen habe er Anspruch auf Entschädigung seines materiellen Nachteils in Form der vorgerichtlich angefallenen Rechtsanwaltsgebühren...

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