Entscheidungsstichwort (Thema)
Schwerbehindertenrecht. Herabsetzung des GdB. isolierte Anfechtungsklage. maßgeblicher Prüfungszeitpunkt. Stimmlippenverlust. Heilungsbewährung. psychische Störungen. Maßgeblicher Prüfungszeitpunkt des Gerichts bei und Anforderungen an die Herabsetzung des Grades der Behinderung bei Stimmlippenverlust
Orientierungssatz
1. Maßgeblicher Prüfungszeitpunkt ist in Verfahren betreffend die Herabsetzung des GdB der Zeitpunkt des Abschlusses des Verwaltungsverfahrens.
2. Für die Bildung des Gesamt-GdB bei Vorliegen mehrerer Funktionsbeeinträchtigungen sind die Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen zueinander zu ermitteln, wobei sich die Anwendung jeglicher Rechenmethode verbietet.
3. Vielmehr ist zu prüfen, ob und inwieweit die Auswirkungen der einzelnen Behinderungen voneinander unabhängig sind und ganz verschiedene Bereiche im Ablauf des täglichen Lebens betreffen oder ob und inwieweit sich die Auswirkungen der Behinderungen überschneiden oder gegenseitig verstärken.
4. Dabei ist in der Regel von einer Funktionsbeeinträchtigung auszugehen, die den höchsten Einzel-GdB bedingt und dann im Hinblick auf alle weiteren Funktionsbeeinträchtigungen zu prüfen, ob und inwieweit hierdurch das Ausmaß der Behinderung größer wird, ob also wegen der weiteren Funktionsbeeinträchtigungen dem ersten Grad 10 oder 20 oder mehr Punkte hinzuzufügen sind, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden, wobei die einzelnen Werte jedoch nicht addiert werden dürfen.
5. Leichte Gesundheitsstörungen, die nur einen GdB-Grad von 10 bedingen, führen grundsätzlich nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung; auch bei leichten Funktionsstörungen mit einem GdB-Grad von 20 ist es vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen.
6. Einzel-GdB von 30 bei nach Entfernung der Stimmlippe links wegen eines Larynxkarzinoms verbliebener organischer Stimmstörung mit dauernder Heiserkeit.
7. Darstellung der Gründe für die Notwendigkeit des Abwartens einer Heilungsbewährung bei Gesundheitsstörungen.
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 27. März 2009 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten haben die Beteiligten einander auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin wendet sich gegen die Herabsetzung des zu ihren Gunsten festgestellten Grades der Behinderung (GdB) von 50 auf 40.
Die Klägerin ist im Jahre 1966 geboren. Nachdem bei ihr im September 2000 ein Larynxkarzinom der linken Stimmlippe, Klassifikation: T1 N0 M0, festgestellt worden war, erfolgte noch im selben Monat ein Stimmlippenstripping mit Chordektomie links.
Auf den von der Klägerin im November 2000 gestellten Antrag kam der Beklagte nach Auswertung der von ihm beigezogenen ärztlichen Unterlagen zu dem Ergebnis, dass die Klägerin wegen des Stimmlippenverlustes links im Stadium der Heilungsbewährung behindert sei, und stellte mit seinem Bescheid vom 11. Januar 2001 wegen der genannten Behinderung einen GdB von 50 fest.
Im Zuge des von ihm im September 2005 eingeleiteten Nachprüfungsverfahrens holte der Beklagte im Januar 2006 eine nicht datierte ärztliche Auskunft der die Klägerin behandelnden Ärztin für Hals- Nasen- und Ohrenheilkunde S ein, in der sie ausführte, bei der Klägerin bestehe ein Zustand nach Larynxkarzinom und eine organische Dysphonie, ihr Allgemeinzustand sei bei der letzten Vorstellung am 8. Juli 2005 gut, die Stimmlippe und das Ersatzstimmband links jeweils reizlos und die Synechie weniger ausgeprägt gewesen. Der ärztlichen Auskunft beigefügt war ein Tonschwellenaudiogramm vom 23. Oktober 2000.
Nach Einholung einer gutachtlichen Stellungnahme des Arztes für Hals- Nasen- und Ohrenheilkunde Dr. P vom 11. Februar 2006 teilte der Beklagte der Klägerin mit, es sei beabsichtigt, den GdB für die Zukunft von 50 auf 20 herabzusetzen, weil hinsichtlich der festgestellten Behinderung eine Heilungsbewährung eingetreten sei. Hierzu teilte die Klägerin mit ihrem Schreiben vom 19. März 2006 mit, zwar habe sich das Krebsrisiko stark abgeschwächt, jedoch leide sie weiterhin an einer erheblichen Stimmstörung. Ihre Stimme sei heiser, ein längeres Sprechen von mehr als 15 Minuten sei ihr nicht möglich. Hierauf veranlasste der Beklagte die versorgungsärztliche Begutachtung der Klägerin durch die Ärztin für Hals- Nasen- und Ohrenheilkunde Dr. M. Diese stellte in ihrem Gutachten vom 10. April 2006 als Behinderung eine organische Stimmstörung mit dauernder Heiserkeit fest, die sie mit einem GdB von 30 beurteilte. Die Klägerin leide unter einer dauernden Heiserkeit, die bei Stimmbelastung zu einer weiteren Schwächung bis zur Stimmlosigkeit führe. Flüstersprache werde nicht angewandt. Die Kehlkopfspiegelung habe den Befund eines inkompletten Stimmlippenanschlusses bei Zustand nach Stimmlippenentfernung der linken Seite erge...