Entscheidungsstichwort (Thema)
Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben. Bezugsberuf. Arbeitslosigkeit. erster Arbeitsmarkt
Leitsatz (amtlich)
Eine längere Zeit der Arbeitslosigkeit führt nicht dazu, dass im Hinblick auf einen Antrag auf Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben kein Bezugsberuf mehr gegeben ist.
Orientierungssatz
1. Zum Leitsatz: Anschluss an SG Stralsund vom 20.3.2014 - S 1 R 342/13.
2. Zur Frage der Bestimmung des Bezugsberufes im Rahmen der Prüfung der für die Gewährung von Leistungen zur Teilhabe erforderlichen Erfüllung der persönlichen Voraussetzungen nach § 10 SGB 6.
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 20. November 2014 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten des Widerspruchs- und Klageverfahrens zu je drei Vierteln und die des Berufungsverfahrens in voller Höhe zu erstatten.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Mit ihrer Berufung wendet sich die Beklagte gegen einen Gerichtsbescheid des Sozialgerichts, mit dem sie verurteilt wurde, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu bescheiden bezüglich einer beruflichen Rehabilitationsmaßnahme (Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben - LTA).
Für den am X. geborenen, also jetzt 38 Jahre alten Kläger sind vom Versorgungsamt Berlin wegen einer hochgradigen Schallempfindungsstörung, an der er seit Geburt leidet, ein Grad der Behinderung (GdB) von 50 und die Merkzeichen RF (Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht) und VKS (Tragen eines Verkehrsschutzzeichens) festgestellt. In der Zeit von September 1995 bis August 1998 hat er eine Ausbildung zum Maler erfolgreich absolviert. Die Tätigkeit des Malers übte er von November 1998 bis September 1999 aus, bevor er sie wegen Gleichgewichtsstörungen aufgab. Anschließend war er von 1999 bis 2001 arbeitslos und von Oktober 2001 bis Oktober 2002 als Jugendbetreuer im Rahmen einer Arbeitsbeschaffungsmaßnahme (ABM) tätig. In der Zeit von August 2006 bis Februar 2009 arbeitete er als Bürogehilfe beim Gverein e.V. in Berlin, dabei handelte es sich um eine Mehraufwands-entschädigungsmaßnahme (MAE). Von Mai 2009 bis April 2011 arbeitete der Kläger als Mitarbeiter im Betreuungsbereich, wiederum beim Gverein. Auch dabei handelte es sich um eine Tätigkeit im öffentlich geförderten Beschäftigungssektor, diese Förderung erfolgte durch das Jobcenter Pankow. In der Zeit von November 2012 bis Februar 2013 war der Kläger als Datenerfasser/Recherchemitarbeiter bei der B in Berlin tätig, hierbei handelte es sich um einen „Ein-Euro-Job“. In den Zwischenzeiten war er jeweils arbeitslos.
In der Zeit vom 13. Oktober 2003 bis zum 24. September 2004 nahm der Kläger an Trainingsmaßnahmen für Menschen mit Hörbehinderungen für Tätigkeiten im Bürobereich, durchgeführt durch die L GmbH Berlin, teil.
Am 15. Mai 2013 stellte der Kläger bei der Bundesagentur für Arbeit (BA) einen Antrag auf LTA. Er begehrte eine Qualifizierung zum Bürokaufmann. Beigefügt war dem Antrag ein Attest der den Kläger behandelnden Fachärztin für Hals-Nasen-Ohrenkrankheiten (HNO) Dr. K vom 31. Januar 2013. Diese stellte die Diagnose einer hochgradigen Schallempfindungsschwerhörigkeit beidseits sowie von Gleichgewichtsstörungen. Aus HNO-ärztlicher Sicht sei eine Rückkehr in den erlernten Beruf als Maler und Lackierer aufgrund der Unfallgefahr nicht zu empfehlen. Die jetzige Bürotätigkeit als Datenerfasser sei mit den bestehenden Einschränkungen gut vereinbar, so dass eine Umschulung zum Bürokaufmann befürwortet werde.
Mit Schreiben vom 16. Mai 2013 gab die BA den Antrag an die Beklagte ab mit der Begründung, ihre Prüfung habe ergeben, dass sie für die beantragten LTA nicht zuständig sei. Dem Antrag beigefügt war ein Gutachten der Fachärztin für Allgemeinmedizin mit Zusatzbezeichnung Sozialmedizin Dr. S vom Ärztlichen Dienst der Agentur für Arbeit Berlin-Süd vom 26. Februar 2013. Zur Vorbereitung des Gutachtens bei Dr. S hatte der Kläger im Gesundheitsfragebogen angegeben, er sei hochgradig schwerhörig und habe Gleichgewichtsstörungen. Als Maler und Lackierer könne er aufgrund der Unfallgefahr nicht arbeiten. Frau Dr. S stellte die Diagnosen der Schwerhörigkeit beidseits und einer Gleichgewichtsstörung. Sie kam zu dem Ergebnis, dass der Kläger als Maler und Lackierer auf Dauer nicht mehr leistungsfähig sei. Auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt könne der Kläger vollschichtig mittelschwere Tätigkeiten in allen Haltungsarten verrichten. Zu meiden seien Arbeiten in gekennzeichneten Lärmbereichen, mit Anforderungen an das Hörvermögen, auf Leitern und Gerüsten und mit hoher Verletzungsgefahr. Sie empfahl eine Umschulung, z.B. zum Bürokaufmann.
Aus dem in der Akte der Beklagten befindlichen Kontenspiegel ergibt sich, dass 185 Monate an Beitrags-, Kindererziehungs- und Ersatzzeiten anzurechnen sind und waren (zum Zeitpunkt 28. Mai 2013).
Mit Bescheid vom 12. Juni 2013 hat die Beklagte die Bewilligung von LTA mit der Begründung abgelehnt, der Kläger sei in der Lage, ...