Entscheidungsstichwort (Thema)

Gesetzliche Krankenversicherung. Behandlung der Multiplen Sklerose durch dafür nicht zugelassenes Immunglobulin (hier: Octagam). Off-Label-Use

 

Orientierungssatz

1. Der Behandlungs- und Versorgungsanspruch eines Versicherten umfasst nur solche Leistungen, die zweckmäßig und wirtschaftlich sind und deren Qualität und Wirksamkeit dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechen. Der Wirksamkeitsnachweis ist im Rahmen eines Arzneimittelzulassungsverfahrens zu erbringen, so dass aus einer nicht bestehenden Zulassung auf eine nicht vorhandene Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit geschlossen werden kann (Vergleiche BSG, Urteil vom 18.05.2004 - B 1 KR 21/02 R).

2. Das Arzneimittel Octagam, ein Immunglobulin, ist nicht für die Behandlung der Multiplen Sklerose zugelassen.

3. Ein Off-Label-Use ist auf solche Medikamente beschränkt, in denen einerseits ein unabweisbarer und anders nicht zu befriedigender Bedarf an der Arzneimitteltherapie besteht und andererseits die therapeutische Wirksamkeit und Unbedenklichkeit der Behandlung hinreichend belegt sind. Diese Voraussetzungen erfüllt das Medikament Octagam nicht.

 

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 15. Januar 2008 wird zurückgewiesen.

Die Beteiligten haben einander außergerichtliche Kosten auch des Berufungsverfahrens nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Klägerin begehrt von der Beklagten einerseits Versorgung mit dem Arzneimittel Octagam, einem Immunglobulin, und andererseits Erstattung der Kosten, die sie für dessen Beschaffung hat aufwenden müssen, in Höhe von 3.303,20 Euro.

Die im November 1954 geborene Klägerin, die bei der Beklagten krankenversichert ist, leidet an Multipler Sklerose mit vorherrschend schubförmigem Verlauf.

Am 16. Januar 2006 beantragte die Klägerin Übernahme der Kosten der Therapie mit Octagam Immunglobulin. Bei ihr sei im September 2000 Multiple Sklerose diagnostiziert worden. Die bisherigen Behandlungen mit dem Arzneimittel Avonex (Interferon Beta), Copaxone (Glatirameracetat) und Kortison seien mit erheblichen Nebenwirkungen verbunden gewesen. Von März 2001 bis Juli 2002 und im Rahmen ihrer Teilnahme an der PRIVIG-Studie von Mai 2003 bis Juni 2004 habe sie Octagam erhalten, wodurch es zu einer Besserung ihres Gesundheitszustandes ohne Nebenwirkungen gekommen sei. Ohne Octagam komme es zu wiederholten Schüben und es bestünden erhebliche körperliche und psychische Gesundheitsstörungen. Die Klägerin legte verschiedene ärztliche Unterlagen vor.

Nach Einholung der Stellungnahme des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) der Dr. S vom 02. Februar 2006 lehnte die Beklagte den Antrag der Klägerin mit Bescheid vom 10. März 2006 ab. Immunglobuline seien zur immunmodulatorischen Behandlung der Multiplen Sklerose nicht zugelassen. Für eine Arzneimitteltherapie stünden die zugelassenen Arzneimittel Imurek und Ralenova zur Verfügung. Aufgrund der noch nicht ausgeschöpften Therapien seien die Kriterien des Bundessozialgerichts (BSG) nicht erfüllt.

Den dagegen eingelegten Widerspruch, dem weitere ärztliche Unterlagen beigefügt waren und mit dem die Klägerin geltend machte, sie leide auch an chronischem Reizmagen und Reizdarm, so dass sie die genannten Medikamente nicht einnehmen könne, wies die Beklagte nach der veranlassten weiteren Stellungnahme des MDK der Ärztin für Neurologie und Psychiatrie Dr. S vom 11. April 2006 mit Widerspruchsbescheid vom 14. August 2006 zurück: Die Voraussetzungen eines so genannte Off-Label-Use seien nicht erfüllt. Bei der Multiplen Sklerose handele es sich zwar nicht um eine lebensbedrohliche Erkrankung, jedoch um eine Erkrankung, die nicht selten zu einer nachhaltigen Beeinträchtigung der Lebensqualität führe.

Zu deren Behandlung seien die genannten Arzneimittel zugelassen und geeignet. Hingegen fehle eine ausreichende Datenlage für die Wirksamkeit von Immunglobulinen bei der Behandlung dieses Leidens mangels Zulassungsstudie.

Dagegen hat die Klägerin am 15. September 2006 beim Sozialgericht Berlin Klage erhoben und zugleich den Erlass einer einstweiligen Anordnung beantragt (S 81 KR 2785/06 ER).

Mit Beschluss vom 02. November 2006 hat das Sozialgericht die Beklagte im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, vorläufig, längstens jedoch bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens, die Kosten einer Versorgung der Klägerin mit Octagam zu übernehmen.

Die Klägerin, die sich bis dahin Octagam aufgrund der beigefügt gewesenen privatärztlichen Verordnungen ihres behandelnden Facharztes für Neurologie und Psychiatrie B vom 09. Januar 2006, 06. Februar 2006, 07. März 2006 und monatlich folgend bis 14. August 2006 selbst bei Kosten von insgesamt 3.303,20 Euro beschafft hatte, hat darauf hingewiesen, dass nicht lediglich ein Verdacht auf Gastritis und Reizdarmsyndrom bestehe. Eine zugelassene Arzneimitteltherapie sei daher für die Klägerin nicht verfügbar. Es fehle nicht am Nachweis der Wirksamkei...

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