Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialgerichtliches Verfahren. Entscheidung über Gültigkeit von Satzungen nach § 22a SGB 2. Antragsbefugnis. Ermächtigungsgrundlage. Zuständigkeit des Landesgesetzgebers im Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung. kein Verstoß gegen Art 84 Abs 1 S 7 GG. hinreichende Bestimmtheit. WAufwV BE. Zulässigkeit der Bildung einer Gesamtangemessenheitsgrenze. Unwirksamkeit der konkreten Ausgestaltung. Unwirksamkeit der Regelungen des § 6 WAufwV BE. Unwirksamkeit der Verordnung insgesamt. keine Abtrennbarkeit

 

Orientierungssatz

1. Der Umstand, dass die Antragsteller nicht durch alle Bestimmungen der zur Überprüfung gestellten Norm betroffen sind, steht einer umfassenden Antragsbefugnis nicht entgegen. Eine einschränkende Auslegung des Antrags ist nur zu erwägen, wenn sich die Normenkontrolle auch gegen solche Teile der Norm richtet, die offensichtlich abtrennbar sind und auf die sich die die Antragsbefugnis begründende, mögliche Rechtsverletzung nicht bezieht.

2. Es begegnet keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, dass § 22a Abs 1 SGB 2 eine Zuständigkeit des Landesgesetzgebers im Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung begründet (vgl LSG Berlin-Potsdam vom 25.4.2013 - L 36 AS 2095/12 NK).

3. Das in § 84 Abs 1 S 7 GG enthaltene Verbot einer Aufgabenübertragung an Gemeinden und Gemeindeverbände durch Bundesgesetz ist auf Fälle, in denen der Eintritt der Rechtswirkung des Bundesgesetzes vom Erlass eines Landesgesetzes abhängig ist, nicht anzuwenden (vgl LSG Berlin-Potsdam vom 25.4.2013 - L 36 AS 2095/12 NK).

4. Die Ermächtigungsgrundlage - § 8 SGB2AG BE 2011 iVm den §§ 22a bis 22c SGB 2 - ist im Lichte der Rechtsprechung des BSG zur Ermittlung der angemessenen Unterkunfts- und Heizkosten auszulegen und damit hinreichend bestimmt iS des Art 64 Abs 1 S 2 Verf BE.

5. Die Bildung einer Gesamtangemessenheitsgrenze ist von der Ermächtigung gedeckt. Sie ist jedoch in ihrer konkreten Ausgestaltung durch § 4 S 1 iVm § 3 WAufwV BE unwirksam.

6. Die Heranziehung eines Grenzwertes, dessen Überschreitung unwirtschaftliches Heizverhalten vermuten lässt, zur Bildung einer Gesamtangemessenheitsgrenze ist unzulässig. Eine in zulässiger Weise gebildete Gesamtangemessenheitsgrenze muss mit einem methodisch akzeptabel ermittelten Wert für den abstrakt angemessenen Bedarf für Heizung operieren.

7. Der Umstand, dass die Gesamtangemessenheitsgrenze keinen Bestand hat, führt zur Unwirksamkeit der WAufwV BE insgesamt. Alle weiteren Bestimmungen bauen auf diese Regelung auf bzw ergänzen sie. Der Fehler wirkt sich daher auf alle Teile der Verordnung aus.

8. Die in § 6 WAufwV BE getroffenen Regelungen sind zum Teil ohne Ermächtigung bzw nicht ermächtigungskonform.

 

Tenor

Die Verordnung zur Bestimmung der Höhe der angemessenen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung nach dem Zweiten und Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (Wohnaufwendungenverordnung - WAV) vom 03. April 2012 (Gesetz- und Verordnungsblatt für Berlin, Seite 99) ist unwirksam; diese Feststellung wird in diesem Verfahren für den Zeitraum vom 01. Mai 2012 bis zum 31. Juli 2013 getroffen.

Der Antragsgegner hat die außergerichtlichen Kosten des Antragstellers zu  tragen.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Der Antragsteller (frühere Antragsteller zu 1) begehrt die Feststellung der Unwirksamkeit der vom Senat von Berlin in seiner Sitzung vom 03. April 2012 unter Berufung auf § 8 des Gesetzes zur Ausführung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch (AG-SGB II) erlassenen Verordnung zur Bestimmung der Höhe der angemessenen Aufwendung für Unterkunft und Heizung nach dem Zweiten und Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (Wohnaufwendungenverordnung - WAV), die am 13. April 2012 verkündet worden (Gesetz- und Verordnungsblatt für Berlin (GVBl) S 99) und am 01. Mai 2012 in Kraft getreten ist (§ 8 WAV).

Der 1954 geborene, erwerbsfähige, hilfebedürftige, ledige und die deutsche Staatsangehörigkeit besitzende Antragsteller, der seit dem 01. Januar 2005 im Leistungsbezug nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) steht, bewohnt seit dem 16. Dezember 2005 allein eine 58 qm große Zweizimmerwohnung unter der im Rubrum angegebenen Adresse (Mietvertrag vom 15. Dezember 2005 auf Bl 81 ff der Verwaltungsakte, auf den wegen der Einzelheiten Bezug genommen wird - nach dem Straßenverzeichnis des Berliner Mietspiegels liegt die Wohnung in einer mittleren Wohnlage), deren Wärmezufuhr über eine Erdgaszentralheizung erfolgt, über die eine Wohnfläche von 22.785,04 qm beheizt wird. Die Warmwasseraufbereitung geschieht durch einen in der Wohnung befindlichen Gas-Durchlauferhitzer; die damit verbundenen Energiekosten werden vom Antragsteller selbst getragen und sind nicht Bestandteil der Nebenkostenabrechnung (Schreiben des Vermieters vom 23. Mai 2012). Für diese Wohnung hatte der Antragsteller ursprünglich eine Bruttowarmmiete von monatlich 381,65 EUR (Nettokaltmiete 251,65 EUR, kalte Betriebskostenvorauszahlung 102,00 EUR und Heizkostenvorauszahlung 28,00 EUR) und -nach turnusmäßigen Erhöhungen der Nettokal...

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