Entscheidungsstichwort (Thema)
Abgrenzung der abhängigen Beschäftigung von der selbständigen Tätigkeit bei einem Stadtführer
Orientierungssatz
1. Bei der Abgrenzung der abhängigen Beschäftigung von der selbständigen Tätigkeit ist von Ersterer auszugehen, wenn die Tätigkeit in einem Arbeitsverhältnis unter einer Weisungsgebundenheit verrichtet wird und eine Eingliederung in einen fremden Betrieb vorliegt. Demgegenüber ist eine selbständige Tätigkeit durch das eigene Unternehmerrisiko, eine eigene Betriebsstätte, die Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft und die im Wesentlichen frei gestaltete Tätigkeit und Arbeitszeit gekennzeichnet.
2. Ist ein Stadtführer in die Betriebsorganisation seines Auftraggebers - Veranstalter von Stadtführungen - eingegliedert und dessen Weisungen unterworfen, erfolgen die Touren nach einem vorgegebenen Konzept, wird eine Hälfte der Touren nach einem vereinbarten Bezahlungsschlüssel durchgeführt, die andere Hälfte nach einem zu erbittenden und zu erwartenden Trinkgeld als Arbeitsentgelt in nicht genau vorbestimmter Höhe, so ist von dem Bestehen einer abhängigen Beschäftigung auszugehen. Dem widerspricht nicht das Fehlen eines Anspruchs auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall und von bezahltem Urlaub.
Nachgehend
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 3. Mai 2017 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese selbst tragen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um den sozialversicherungsrechtlichen Status der Beigeladenen zu 1. in ihrer Tätigkeit als Stadtführerin für die Klägerin im Zeitraum 13. Januar 2009 bis 31. Oktober 2010.
Die Klägerin veranstaltet seit 2003 Stadtführungen in (nach eigenen Angaben, vgl. ) gegenwärtig 20 Städten in Europa, dem Mittleren Osten und den USA mit über 600 Stadtführenden. Die Stadtführungen werden (und wurden im streitigen Zeitraum) sowohl als „Free Tour“ zu den Hauptsehenswürdigkeiten Berlins beworben, erbeten wird dabei nur ein angemessenes „Trinkgeld“ für die jeweiligen Stadtführenden, als auch als vorab zu bezahlende Tour („Select Tour“ bzw. „Private Tour“) zu bestimmten Themen bzw. Orten oder für eine bestimmte Gruppe.
Die Klägerin und die Beigeladene zu 1., eine im Jahre 1986 geborene Amerikanerin, schlossen zwei schriftliche Vereinbarungen: Eine Rahmenvereinbarung („Frame Agreement“) vom 13. Januar 2009 für die Zeit ab 13. Januar 2009 (im Folgenden: Rahmenvereinbarung I) und eine Rahmenvereinbarung vom 30. April 2009 für die Zeit ab 1. Mai 2009 (im Folgenden: Rahmenvereinbarung II).
Die Rahmenvereinbarung I lautet unter anderem (Übersetzung im Auftrag der Staatsanwaltschaft Berlin zum inzwischen eingestellten Ermittlungsverfahren ):
§ 1 Inhalt dieser Vereinbarung
1. Vorbehaltlich der Bestimmungen dieser Vereinbarung engagiert der S den Vertragspartner als unabhängigen Fremdenführer für die Erbringung von Leistungen wie aufgeführt, und der Vertragspartner akzeptiert dieses Engagement.
2. Der S plant und fördert/bewirbt geführte Stadttouren in Berlin.
3. Der Vertragspartner führt die geförderten Touren auf der Grundlage individueller Vereinbarungen mit S für jede Tour durch. Dem Vertragspartner steht es frei, entsprechend der jeweiligen Umstände und Anforderungen die Route einer Tour zu ändern, solange alle durch S geförderten Örtlichkeiten einbezogen sind.
§ 2 Wie freie Touren funktionieren
1. S betreibt eine tägliche freie, gelaufene Tour durch Berlin. Die Tour beginnt um 11:00 Uhr jeden Morgen und 13:00 Uhr jeden Nachmittag und dauert normalerweise etwa 3,5 Stunden. Es ist keine Vorbestellung notwendig und die Tour beruht nur auf Trinkgeld-Basis (es erfolgt keine Bezahlung vor der Tour), wobei die Trinkgelder am Ende der Tour an den Fremdenführer gehen.
2. Es gilt als zwischen den Parteien vereinbart, dass der Vertragspartner zum Zwecke der freien Tour S zur Erbringung folgender Leistungen bucht:
a) Bewerben der Tour über seine Marketing-Wege, einschließlich, aber nicht beschränkt auf Flugblätter, Karten/Stadtpläne, Internet, Firmen-Websites, Zeichen an den Startpunkt, Werbemaßnahmen durch die Filialen der S und Firmen in anderen Ländern.
b) Ausrüstung des Fremdenführers mit Markenzubehör der S, z.B. Hemd, Namensschild und anderem Zubehör, das das Unternehmen für notwendig erachtet, damit der Fremdenführer als von S gefördert erkennbar und vorzeigbar ist.
c) Schulung des Fremdenführers in Bezug auf die Route, die Texte und das Verfahren der Führungen, die der Öffentlichkeit von S angeboten werden.
3. Die Parteien vereinbaren, dass der Vertragspartner folgende Verpflichtungen übernimmt:
a) Einhaltung des standardisierten S Verfahrens in Bezug auf Startzeiten, die Route der Tour, das Führungsverfahren, die Uniform und alle anderen Richtlinien in der Weise, wie von S in der Öffentlichkeit gefördert und von Zeit zu Zeit durch das ...