Entscheidungsstichwort (Thema)
Schwerbehindertenrecht. GdB-Neufeststellung. Herabsetzungsbescheid. GdB-Absenkung vor Bekanntgabe. Rechtswidrigkeit des Gesamtbescheids. keine zeitliche Teilbarkeit. keine geltungserhaltende Reduktion. sozialrechtliches Verwaltungsverfahren
Orientierungssatz
Ein Bescheid, mit dem eine begünstigende Feststellung im Schwerbehindertenverfahren ganz oder teilweise aufgehoben wird, ist nicht derart in zeitlicher Hinsicht teilbar, dass einer rechtswidrig früh einsetzenden Wirkung durch Aufhebung des Bescheides nur für einen Teilzeitraum Rechnung getragen und der Bescheid im Übrigen aufrechterhalten werden könnte (so auch LSG Berlin-Potsdam vom 28.1.2016 - L 13 SB 182/15; entgegen LSG Berlin-Potsdam vom 23.7.2015 - L 11 SB 157/11).
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin werden das Urteil des Sozialgerichts Potsdam vom 18. November 2015 und der Bescheid des Beklagten vom 4. Juni 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides des Beklagten vom 4. Mai 2011 in der Fassung des Ausführungsbescheides vom 7. Dezember 2015 aufgehoben.
Der Beklagte hat der Klägerin deren notwendige außergerichtliche Kosten des gesamten gerichtlichen Verfahrens zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Herabsetzung des Grades der Behinderung (GdB).
Mit Bescheid vom 7. Dezember 2004 hatte der Beklagte bei der Klägerin für die Behinderung Teilverlust der Brust links, Erkrankung der Brust links (Heilungsbewährung) einen Grad der Behinderung von 50 festgestellt. Im November 2009 leitete er von Amts wegen ein Nachprüfungsverfahren ein. Er setzte nach Abschluss der Ermittlungen mit Bescheid vom 4. Juni 2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4. Mai 2011 den Grad der Behinderung mit Wirkung ab 4. Juni 2010 auf 30 herab. Hierbei ging er von folgenden Behinderungen aus:
1. psychische Minderbelastbarkeit (Einzel-GdB von 20),
2. Harnblasenentleerungsstörung (Einzel-GdB von 20),
3. Teilverlust der linken Brust (Einzel-GdB von 10),
4. Lymphödem des linken Armes (Einzel-GdB von 20).
Die Klägerin hat hiergegen Klage bei dem Sozialgericht Potsdam erhoben. Der Beklagte hat mit Schriftsatz vom 28. November 2012 ein Teilanerkenntnis dahingehend abgegeben, dass bei der Klägerin ein Grad der Behinderung von 40 ab 17. Juli 2012 festgestellt werde. Mit Schriftsatz vom 17. April 2013 gab er ein weiteres Teilanerkenntnis ab, wonach der Grad der Behinderung von 40 bereits vom 17. August 2010 an wirksam sein solle. Das Sozialgericht hat Beweis erhoben durch Einholung des Gutachtens des praktischen Arztes M vom 24. August 2015 mit ergänzender Stellungnahme vom 2. November 2015. Der Sachverständige hat den Grad der Behinderung bei der Klägerin im Mai 2011 mit 40 eingeschätzt. In der mündlichen Verhandlung vor dem Sozialgericht hat die Klägerin die Aufhebung der angefochtenen Bescheide insoweit begehrt, als ein geringerer Grad der Behinderung als 50 festgestellt wurde. Das Sozialgericht Potsdam hat die Klage mit Urteil vom 18. November 2015 abgewiesen.
Mit Ausführungsbescheid vom 7. Dezember 2015 hat der Beklagte den Grad der Behinderung von 40 ab 17. August 2010 festgestellt.
Mit der Berufung wendet sich die Klägerin gegen die gerichtliche Entscheidung.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Potsdam vom 18. November 2015 aufzuheben sowie den Bescheid des Beklagten vom 4. Juni 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4. Mai 2011 in der Fassung des Ausführungsbescheides vom 7. Dezember 2015 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält an seiner Entscheidung fest.
Wegen der weiteren Ausführungen der Beteiligten wird auf deren Schriftsätze Bezug genommen. Ferner wird auf den übrigen Inhalt der Gerichtsakte und des Verwaltungsvorgangs der Beklagten verwiesen, die vorgelegen haben und Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.
Entscheidungsgründe
Der Senat konnte ohne mündliche Verhandlung durch Urteil entscheiden, da die Beteiligten hiermit einverstanden sind (§ 153 Abs. 1 in Verbindung mit § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz -SGG-).
Die zulässige Berufung der Klägerin ist begründet.
Das Sozialgericht hat auf die Anfechtungsklage zu Unrecht den Bescheid des Beklagten vom 4. Juni 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4. Mai 2011 in der Fassung des Ausführungsbescheides vom 7. Dezember 2015 nicht aufgehoben. Denn die behördliche Entscheidung ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten.
Rechtsgrundlage für einen Absenkungsbescheid ist § 48 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch, Zehntes Buch (SGB X). Danach ist der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei dem Erlass eines Verwaltungsakts mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Im hier zu entscheidenden Fall handelt es sich bei dem ursprünglichen Festsetzungsbescheid um einen Verwaltungsakt mit Dauerwirkung. Ob im Sinne der genannten Vorschrift in den tatsächlichen Verhältni...