Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. Berufungseinlegung in elektronischer Form. Textdatei mit aufgebrachter Bilddatei einer eingescannten Unterschrift ohne qualifizierte elektronische Signatur. Schriftformerfordernis. Verordnung über den elektronischen Rechtsverkehr mit der Justiz im Land Berlin. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. gerichtliche Mitteilungspflicht
Orientierungssatz
1. Bei der elektronischen Form iS des § 65a SGG handelt es sich um eine eigenständige Form, die der Gesetzgeber "als zusätzliche Option neben der bisherigen schriftlichen Form" (vgl BSG vom 14.3.2013 - B 13 R 19/12 R = SozR 4-1500 § 66 Nr 3) bzw als “Gegenstück„ zur Schriftform (vgl BFH vom 13.5.2015 - III R 26/14 = BFHE 250, 12) eingeführt hat.
2. Seit dem 1.11.2007 können beim Landessozialgericht Berlin-Brandenburg auch elektronische Dokumente eingereicht werden. Ist für Einreichungen die Schriftform oder die elektronische Form vorgeschrieben und liegt kein Fall des § 12 Abs 2 S 2 HGB vor, sind die elektronischen Dokumente nach § 2 Abs 1 S 1 ERVJustizV (juris: ElektRvJV BE) mit einer qualifizierten elektronischen Signatur nach § 2 Nr 3 SigG 2001 zu versehen.
3. Der Ausdruck einer ohne Verwendung einer qualifizierten elektronischen Signatur in das elektronische Gerichts- und Verwaltungspostfach des Berufungsgerichts übermittelten Datei eines Berufungsschriftsatzes, der lediglich eine in das Dokument eingefügte Bilddatei der zuvor isoliert eingescannten Unterschrift der Klägerin wiedergibt, wahrt die für die Berufungseinlegung gemäß § 151 Abs 1 SGG erforderliche Schriftform nicht (vgl BGH vom 18.3.2015 - XII ZB 424/14 = NJW 2015, 1527).
4. Nach § 65a Abs 2 S 3 SGG hat das Gericht dem Absender einer elektronischen Nachricht unverzüglich mitzuteilen, wenn das übersandte Dokument den rechtlichen Anforderungen nicht genügt. Das gilt auch hinsichtlich der qualifizierten elektronischen Signatur (vgl BVerwG vom 25.4.2012 - 8 C 18/11 = BVerwGE 143, 50). Unverzüglich ist eine Mitteilung, wenn sie ohne schuldhaftes Zögern erfolgt. Eine Bearbeitung der von der Klägerin am letzten Tag der Berufungsfrist übersandten Nachricht noch am selben Tage war nach den gerichtlichen Arbeitsabläufen weder möglich noch geschuldet. Die Erstbearbeitung durch die Senatsvorsitzende - nach Bestimmung des gesetzlichen Richters - bereits am Tag nach Eingang des Dokumentes stellt keine schuldhafte Verzögerung dar.
Normenkette
SGG § 65a Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 3, § 66 Abs. 2, § 151 Abs. 1; ElektRvJV BE § 1 S. 1, § 2 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 1; SigG 2001 § 2 Nr. 3; HGB § 12 Abs. 2 S. 2; ZPO § 130 Nr. 6
Nachgehend
Tenor
Die Berufung wird als unzulässig verworfen.
Außergerichtliche Kosten haben die Beteiligten einander auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit eines Aufhebungs- und Erstattungsbescheides.
Mit Bescheid vom 5. Juli 2013 hob der Beklagte seine Bewilligungsentscheidung vom 17. Februar 2012 über die Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch für die Zeit vom 1. März bis 31. August 2012 teilweise auf und forderte von der Klägerin die Erstattung eines Betrages von 1.011,68 EUR. Begleitend erließ er am 5. Juli 2013 einen Änderungsbescheid. Zur Begründung führte der Beklagte aus, dass bekannt geworden sei, dass Herr H G seit dem 20. März 2012 polizeilich in der Wohnung der Klägerin gemeldet gewesen sei, weswegen die Klägerin nur den hälftigen Anteil für Kosten der Unterkunft und Heizung habe beanspruchen können. Den hiergegen erhobenen Widerspruch der Klägerin vom 1. August 2013 wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 19. September 2013 zurück.
Am 18. Oktober 2013 hat die Klägerin vor dem Sozialgericht Berlin Klage erhoben und die Aufhebung der vorbezeichneten Bescheide begehrt. Das Sozialgericht hat durch Zeugenvernehmung Beweis erhoben und die Klage mit Urteil vom 28. April 2015 abgewiesen. In der Rechtsmittelbelehrung hat das Sozialgericht über die Möglichkeit einer Berufung, die Berufungsfrist von einem Monat nach Zustellung des Urteils sowie über die Einlegung der Berufung beim Landessozialgericht Berlin-Brandenburg (LSG) oder beim Sozialgericht Berlin belehrt und ausgeführt:
“Die Berufung ist … schriftlich, in elektronischer Form oder mündlich zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen. …
Die elektronische Form wird durch eine qualifizierte signierte Datei gewahrt, die nach den Maßgaben der Verordnung über den elektronischen Rechtsverkehr mit der Justiz im Land Berlin vom 27. Dezember 2006 (GVBl. S. 1183) i.d.F. vom 9. Dezember 2009 (GVBl. S. 881) bzw. der Verordnung über den elektronischen Rechtsverkehr im Land Brandenburg vom 14. Dezember 2006 (GVBl. II S. 558) i.d.F. vom 1. Oktober 2007 (GVBl. II S. 425) in die elektronische Poststelle des jeweiligen Gerichts zu übermitteln ist. ….„
Das Urteil ist der...