Entscheidungsstichwort (Thema)
Vertragsärztliche Versorgung. Zulassungsbeschränkung bei Überversorgung. Sonderbedarfszulassung. zusätzlicher lokaler Versorgungsbedarf
Leitsatz (amtlich)
1. Die Kompetenz des Landesausschusses nach § 100 Abs 3 SGB V ergänzt das bereits bestehende Instrumentarium der Sonderbedarfszulassung zur Deckung lokalen Sonderbedarfs.
2. Die Feststellung eines zusätzlichen lokalen Versorgungsbedarfs nach § 100 Abs 3 SGB V kann im Streit um die Erteilung einer Sonderbedarfszulassung nicht ohne Bedeutung sein. Bei einer Entscheidung über einen Antrag auf Sonderbedarfszulassung wegen zusätzlichen lokalen Versorgungsbedarfs darf nicht unberücksichtigt bleiben, ab welchem Versorgungsgrad der Landesausschuss in der jüngeren Vergangenheit einen zusätzlichen lokalen Versorgungsbedarf bejaht hat.
Tenor
Das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 22. März 2017 sowie der Beschluss des Beklagten vom 14. Oktober 2015 werden aufgehoben.
Der Beklagte wird verpflichtet, über den Antrag des Klägers auf Zulassung zur vertragsärztlichen Versorgung wegen lokalen Sonderbedarfs als Facharzt für Kinder- und Jugendmedizin im Verwaltungsbezirk Neukölln unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats neu zu entscheiden.
Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese selbst tragen.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger begehrt die Erteilung einer Sonderbedarfszulassung zur vertragsärztlichen Versorgung als Facharzt für Kinder- und Jugendmedizin im Verwaltungsbezirk Neukölln.
Der am ......... geborene Kläger ist Facharzt für Kinder-und Jugendmedizin und betreibt derzeit eine privatärztliche Kinderarztpraxis in B-.
Am 6. August 2013 beantragte er die Zulassung zur vertragsärztlichen Versorgung als Facharzt für Kinder-und Jugendmedizin im Rahmen einer lokalen Sonderbedarfszulassung im Verwaltungsbezirk N(gesperrter Bereich). In diesem Rahmen beantragte er zugleich die Genehmigung zur Anstellung der Ärztin Dr. G. N sei mit Kinderärzten unterversorgt.
Der Kläger legte befristete Mietoptionen für die Standorte K--Straße sowie - später - A vor, jeweils gelegen im nördlichen N.
Der Zulassungsausschuss holte zur Prüfung des Vorliegens eines lokalen Sonderbedarfs eine Stellungnahme des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendmediziner e.V. ein. Dieser äußerte sich in einem Schreiben seines Vorsitzenden Dr. S vom 24. Februar 2014 wie folgt: „Die Kinder- und Jugendärzte Berlins sehen, im Gegensatz zum Antragsteller, keinen besonderen Versorgungsbedarf für den Bezirk N. Berlin als Gesamtheit ist ausreichend mit Kinder- und Jugendärzten versorgt, die Probleme in der Versorgung liegen eher in der Verschiebung von allgemein pädiatrischen Sitzen hin zur speziellen Versorgung (Kinderkardiologie etc.). Daraus entstehen zurzeit besondere Versorgungsengpässe im allgemeinen pädiatrischen Bereich. Dies trifft allerdings für N nicht im besonderen Maße zu, weder für angestellte noch für freie Arztsitze“.
Mit Schreiben vom 21. März 2014 äußerte sich der beratungsärztliche Dienst der Beigeladenen zu 1. (Beratungsarzt Dr. K) zur Frage des Sonderbedarfs. Dem lag eine Tabelle bei mit Angaben zu den in N praktizierenden 27 Kinderärzten, der Entfernung ihrer Praxis zum geplanten Praxisstandort des Klägers und den jeweiligen Fallzahlen im Quartal III/13. Einer Sonderbedarfszulassung bedürfe es nicht. Dies begründete er wie folgt: „Es wurden die Abrechnungsdaten der 27 Kinderärzte, die einen Vertragsarztsitz im Bezirk N haben, für das 3. Quartal 2013 überprüft und in der anliegenden Tabelle dargestellt. Die durchschnittliche Zahl der Behandlungsfälle pro Pädiater liegt bei 936 Behandlungsfällen. Die Streubreite ist sehr groß: Die niedrigste Fallzahl liegt bei 447 Behandlungsfällen (72 23 147), die höchste bei 1631 (72 32 017). Als berlinweite Durchschnittsfallzahl für Kinderärzte wird für die Berechnung der Regelleistungsvolumina für das 3. Quartal 2013 eine Fallzahl von 825 Fällen zugrunde gelegt. Diese Fallzahl wird von 13 Kinderärzten in Neukölln nicht erreicht. Elf dieser Ärzte sind mindestens seit 3 Jahren niedergelassen. Warum Patienten nicht von den 14 Kinderärzten, die diese Fallzahl erheblich überschreiten, zu den weniger ausgelasteten Praxen abwandern, ist nicht zu klären. Legt man die berlinweite Durchschnittsfallzahl zu Grunde, so arbeiten in einer Entfernung von maximal 3 km zum geplanten Praxissitz der im Betreff genannten Ärzte acht Kinderärzte mit einer zusätzlichen Kapazität von 1261 Behandlungsfällen pro Quartal.”
Die Beigeladene zu 1. beantragte gegenüber dem Zulassungsausschuss, die Anträge auf Sonderbedarfszulassung zurückzuweisen und wies in einer Stellungnahme vom 7. April 2014 darauf hin, dass nach den Feststellungen des „Letter of Intent“ des Gemeinsamen Landesgremiums nach § 90a SGB V vom 18. September 2013 in der Facharztgruppe Kinder- und Jugendmedizin der Versorgungsgrad im Zulassungsbereich Berlin mit 147,1 % und im Verwaltungsbezirk N mit 100,1 % festges...