Entscheidungsstichwort (Thema)
Häftlingshilfegesetz. Anspruch auf Versorgung. in der DDR verbüßte Haftzeiten. Rechtsstaatswidrigkeit. Schädigungsfolgen. anerkannte Gesundheitsstörungen. chronische posttraumatische Belastungsstörung. Teilsymptomatik einer anhaltenden Persönlichkeitsstörung mit negativen Auswirkungen auf den Zuckerstoffwechsel. Anspruch auf Versorgung nach dem Häftlingshilfegesetz auf Grund von in der DDR verbüßten Haftzeiten, wenn die Schädigungsfolgen als solche bereits bindend anerkannt sind
Orientierungssatz
1. Bei der Beurteilung des Grades der Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) bzw. des Grades der Schädigungsfolgen (GdS) als Grundlage für Versorgungsleistungen nach § 4 Abs. 1 HHG, §§ 1 Abs. 1 Nr. 1 und 30 Abs. 1 BVG ist das Gericht an die vom Versorgungsträger bestandskräftig anerkannten Gesundheitsstörungen gebunden; auf deren Rechtmäßigkeit kommt es insoweit nicht an (Anschluss an BSG, Urteile vom 29.08.1990 - 9a/9 RV 32/88 - und 15.12.1999 - BV 26/98 R -).
2. Für die Bildung des Gesamtgrades der MdE bzw. des GdS sind die Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz (AHP in ihren verschiedenen Fassungen) bzw. seit 1. Januar 2009 die auf Grund der Ermächtigung des § 30 Abs. 17 BVG erlassene VersMedV zugrundezulegen. Nach der Anlage zu § 2 VersMedV ist weiterhin vom höchsten Einzel-GdS auszugehen, weitere Einzelgrade dürfen jedoch nicht einfach hinzuaddiert werden; vielmehr sind beim Vorliegen mehrerer Funktionsbeeinträchtigungen die Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen zueinander zu beurteilen (hier: Schädigungsfolgen von in der DDR verbüßten Haftzeiten).
Tenor
Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 13. September 2006 abgeändert und die Klage insgesamt abgewiesen.
Der Beklagte hat dem Kläger die Hälfte der Kosten für das erstinstanzliche Verfahren zu erstatten. Für das Berufungsverfahren haben die Beteiligten einander keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger begehrt eine Beschädigtenversorgung nach einem Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) bzw. einem Grad der Schädigung (GdS) von 80 bei einem anerkannten Grad der MdE bzw. GdS von 70.
Der 1931 in Berlin geborene Kläger siedelte im Jahr 1961 mit seiner Familie in die DDR über. Das Kreisgericht Leipzig-Süd verurteilte den Kläger mit Urteil vom 2. Juni 1966 wegen verbrecherischer Trunkenheit zu einer Gefängnisstrafe von neun Monaten. Aufgrund dieses Strafverfahrens war der Kläger in der Zeit vom 15. Dezember 1965 bis zum 15. September 1966 inhaftiert. Mit Beschluss vom 29. Januar 2008 - 1 Reha Ws 45/07 - erklärte das Oberlandesgericht Dresden das vorgenannte Urteil für rechtsstaatswidrig und stellte fest, dass der Kläger im vorgenannten Zeitraum zu Unrecht Freiheitsentziehung erlitten hat. Mit Urteil vom 1. Juni 1967 verurteilte das Kreisgericht L-Mitte den Kläger wegen Widerstandes gegen die Staatsgewalt zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und zwei Monaten. Aufgrund dieses Verfahrens war der Kläger in dem Zeitraum vom 15. Dezember 1966 bis zum 16. Februar 1968 inhaftiert. Mit Beschluss vom 29. Dezember 2008 - BSRH 15.609/08 - hob das Landgericht L das vorgenannte Urteil, soweit es den Kläger betrifft, auf, stellte fest, dass das damalige Verfahren rechtsstaatswidrig war und der Kläger in dem vorgenannten Zeitraum zu Unrecht in Haft gehalten wurde, und rehabilitierte den Kläger.
Am 16. Februar 1968 wurde der Kläger nach Berlin (West) abgeschoben.
Am 15. Juli 1968 stellte das Bezirksamt RB dem Kläger eine Bescheinigung nach § 10 Abs. 4 des Gesetzes über Hilfsmaßnahmen für Personen, die aus politischen Gründen außerhalb der Bundesrepublik Deutschland in Gewahrsam genommen wurden - Häftlingshilfegesetz - (HHG) über folgende Zeiten des politischen Gewahrsams aus:
a) 15. Dezember 1965 bis 16. Oktober 1966
b) 15. Dezember 1966 bis 16. Februar 1968.
Am 17. Juli 1968 beantragte der Kläger bei dem Beklagten eine Beschädigtenversorgung nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) und dem HHG. Aufgrund des versorgungsärztlichen Gutachtens des Arztes Dr. S vom 21. November 1968 und des Gutachtens des Facharztes für Innere Krankheiten Dr. H vom 13. Dezember 1968 erkannte der Beklagte mit Bescheid vom 6. Januar 1969 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. September 1969 den Verlust des 4. linken Fingers und eine vegetative Labilität als Schädigungsfolgen an, die er für die Zeit vom 1. Juli 1968 bis zum 31. Dezember 1968 unter gleichzeitiger Feststellung eines Versorgungsanspruchs mit einem Grad der MdE von 30 und für die Zeit danach mit einem Grad der MdE von unter 25 bewertete.
Mit Schreiben vom 4. August 1998 beantragte der Kläger unter Hinweis auf das zwischenzeitlich in Kraft getretene Gesetz über die Rehabilitierung und Entschädigung von Opfern rechtsstaatswidriger Strafverfolgungsmaßnahmen im ...