Entscheidungsstichwort (Thema)
Anspruch auf Beschädigtenversorgung wegen der psychischen Folgen einer in der DDR erlittenen rechtsstaatswidrigen Haft
Orientierungssatz
1. Ein nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 des Häftlingshilfegesetzes Berechtigter der infolge des Gewahrsams eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, erhält nach § 4 Abs. 1 HHG wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen dieser Schädigung auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung des BVG.
2. Ist bei dem Antragsteller als Folge einer erlittenen rechtsstaatswidrigen Haft in der DDR eine posttraumatische Belastungsstörung und eine andauernde Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastung entstanden, so gilt für deren Bemessung ein Bewertungsrahmen von 50 bis 70.
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 30. Juni 2010 geändert.
Der Beklagte wird unter Abänderung der Bescheide vom 7. September 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. April 2005 verpflichtet, den Bescheid vom 12. Oktober 1976, den Bescheid vom 27. Dezember 1978 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. Februar 1979 und den Bescheid vom 8. Juli 1995 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. Oktober 1996 zu ändern, eine chronische posttraumatische Belastungsstörung und eine andauernde Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastung als Schädigungsfolgen festzustellen und der Klägerin eine Beschädigtengrundrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit/ einem Grad der Schädigungsfolgen von 50 ab dem 1. Januar 1997 zu gewähren.
Es wird festgestellt, dass die Klage hinsichtlich der Rechtsfolgen des besonderen beruflichen Betroffenseins und des Berufsschadensausgleichs weiterhin bei dem Sozialgericht Berlin anhängig ist.
Die im Berufungsverfahren erhobene Klage auf Zuerkennung einer Ausgleichsrente wird abgewiesen.
Der Beklagte hat der Klägerin die Hälfte ihrer außergerichtlichen Kosten des gesamten Verfahrens zu erstatten. Die Kostenentscheidung über die noch bei dem Sozialgericht anhängige Klage bleibt dem Sozialgericht vorbehalten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt im Wege der Überprüfung die Anerkennung einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) bzw. eines Grades der Schädigungsfolgen (GdS) von 50 zuzüglich einer Erhöhung wegen besonderen beruflichen Betroffenseins von 10, einen Beschädigtengrundrente sowie eine Ausgleichsrente für Schwerbeschädigte und einen Berufsschadensausgleich aufgrund zu Unrecht erlittener DDR-Haft nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) in Verbindung mit dem Häftlingshilfegesetz (HHG).
Die am 1951geborene Klägerin befand sich im Zeitraum vom 20. April 1974 bis zum 15. Oktober 1975 aufgrund Urteils des Kreisgerichtes vom 3. Juli 1974 (Az: ) wegen versuchten ungesetzlichen Grenzübertritts in Strafhaft in verschiedenen Haftanstalten der DDR. Nach Verbüßung der Haft wurde sie in die Bundesrepublik Deutschland abgeschoben. Mit Bescheinigung des Senators nach § 10 Abs. 4 HHG vom 16. Januar 1976 wurde der Klägerin bescheinigt, dass sie wegen des von ihr erlittenen Gewahrsams zum Personenkreis nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 HHG gehöre und dass Ausschließungsgründe nach § 2 HHG nicht vorlägen.
Die Klägerin, die gelernte Fachverkäuferin für Textil ist, arbeitete mit Unterbrechung für eine Tätigkeit als Auskunftsassistentin beim Fernmeldeamt bis zur ihrer Inhaftierung in ihrem erlernten Beruf. Nach ihrer Übersiedlung in die Bundesrepublik war sie in verschiedenen Berufen tätig. Seit dem Jahr 2002 bezieht sie Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch II. Buch.
Auf den Versorgungsantrag der Klägerin anerkannte der Beklagte mit bestandskräftigem Bescheid vom 12. Oktober 1976 ein abklingendes Zwölffingerdarmgeschwür als Schädigungsfolge des erlittenen Gewahrsams unter Gewährung einer Versorgungsrente nach einer MdE von 30 ab 1. Dezember 1976. Mit bestandskräftigem Bescheid vom 27. Dezember 1978 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. Februar 1979 änderte der Beklagte seine Entscheidung dahingehend ab, dass ab dem 1. Februar 1979 eine Ulcusnarbe an der Hinterwand des Bulbus als Schädigungsfolge mit Anspruch auf Heilbehandlung anerkannt wurde; die Schädigungsfolge bedinge jedoch kein MdE mehr, so dass eine Rente nicht mehr gewährt werden könne. Einen Verschlimmerungsantrag der Klägerin lehnte der Beklagte mit bestandskräftigem Bescheid vom 8. Juli 1995 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. Oktober 1996 ab.
Auf den Antrag der Klägerin vom 17. Dezember 2001 ließ der Beklagte die Klägerin durch den Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. D begutachten. In seinem Gutachten vom 16. Juni 2004 gelangte der Gutachter nach körperlicher Untersuchung der Klägerin zu der Einschätzung, dass als Schädigungsfolge eine chronifizierte posttraumatische Belastungsstörung und Teilsymptomatik einer andauernden Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastung gegeben sei, die eine MdE von 40 bedinge. Dem folgend änderte der Beklagte mit Bescheiden vom 7. September 2004 in Gestalt des Wide...