Entscheidungsstichwort (Thema)

Soziales Entschädigungsrecht. Häftlingshilfe. DDR-Unrechtshaft. GdS-Feststellung. Versorgungsmedizinische Grundsätze. besonderes berufliches Betroffensein. keine Berücksichtigung von politischen Ausbildungsverboten. Umschulungsberuf als sozial gleichwertiger Beruf. sozialgerichtliches Verfahren. Vorverfahrenspflicht. Entbehrlichkeit des Widerspruchs bei wiederholter Prüfung durch die Behörde. keine Anhörung eines Diplom-Psychologen nach § 109 SGG

 

Orientierungssatz

1. Die Ansprüche nach dem HHG sind im Falle eines Geschädigten, der bereits vor Inkrafttreten des StrRehaG eine Bescheinigung nach § 10 Abs 4 HHG erhalten hat, gegenüber denen nach § 21 Abs 1 S 1 StrRehaG iVm dem BVG vorrangig (vgl § 21 Abs 1 S 2 StrRehaG).

2. Zur Feststellung des Grads der Schädigungsfolgen (GdS) nach den in der Anlage zu § 2 VersMedV geregelten Versorgungsmedizinischen Grundsätzen (VMG) Teil B Nr 3.7 (psychische Störung), Teil B Nr 18.13 (Bewegungseinschränkung des Schultergelenks) sowie Teil B Nr 5.2.3 (Hörverlust) und Teil B Nr 5.3 (Knackgeräusch im rechten Ohr) bzw Teil B Nr 8.2 (chronische Bronchitis).

3. Im Rahmen des besonderen beruflichen Betroffenseins nach § 30 Abs 2 S 2 BVG sind nur die Auswirkungen der gesundheitlichen Auswirkungen der Schädigungsfolgen auf die berufliche Tätigkeit zu prüfen. Soweit der Geschädigte an der Ausübung einer Tätigkeit aus anderen Gründen (etwa aufgrund einer politisch begründeten Versagung eines Abschlusszeugnisses) gehindert gewesen ist, begründet dies nicht die besondere berufliche Betroffenheit.

4. Nach erfolgreicher Umschulung gilt der Umschulungsberuf stets als sozial gleichwertiger Beruf (vgl BSG vom 18.10.1995 - 9 RV 18/94 = SozR 3-3100 § 30 Nr 14).

5. Der Erlass eines Widerspruchsbescheids (hier betreffend eines Grads der MdE) kann ausnahmsweise aufgrund der Besonderheiten des Einzelfalls entbehrlich sein, wenn dieser sich angesichts des Verfahrensstandes und der wiederholten eingehenden Prüfung (wenn auch ohne expliziter förmlicher Entscheidung) durch die Behörde als bloße Formalität darstellen würde.

6. Eine Einbeziehung von Diplom-Psychologen in das Antragsrecht nach § 109 SGG scheidet aus.

 

Nachgehend

BSG (Beschluss vom 26.08.2019; Aktenzeichen B 9 V 6/19 B)

 

Tenor

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 11. November 2010 geändert.

Der Beklagte wird unter Änderung des Bescheides vom 31. August 2000 in der Fassung des Bescheides vom 20. November 2001 beide in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. Januar 2007 sowie des Bescheides vom 20. Juli 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. Januar 2007 sämtlichst in der Fassung der Bescheide vom 19. Oktober 2009 und 11. Januar 2017 verurteilt,

dem Kläger Grundrente nach einem Grad der Schädigungsfolgen von 50 schon ab dem 1. April 2008 sowie nach einem Grad der Schädigungsfolgen von 60 ab dem 1. November 2014 zu gewähren.

Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

Der Beklagte hat dem Kläger die Hälfte der notwendigen außergerichtlichen Kosten des gesamten Verfahrens zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Höhe der dem Kläger zustehenden Beschädigtenrente und hierbei maßgeblich über den bei ihm bestehenden Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) bzw. den Grad der Schädigungsfolgen (GdS) sowie die Anerkennung weiterer Schädigungsfolgen nach dem Häftlingshilfegesetz (HHG).

Der am 1962 geborene Kläger betrieb in seiner Jugend Leistungssport im Bereich Rudern und war DDR-Meister im Skiff.

Nach Abschluss der Schulausbildung nahm er im September 1979 eine Ausbildung zum Meliorationstechniker mit Spezialisierung auf den Bereich Bewässerung auf. Am 13. Oktober 1978 wurde dem Kläger durch die Fachärztin für Allgemeinmedizin Dr. H die gesundheitliche Eignung für eine solche Tätigkeit bestätigt. Unter anderem wurden als Anforderungen des Berufs körperliche Gesundheit und genügend differenziertes Hörvermögen genannt.

Nach zwei Versuchen der Flucht aus der DDR in den Jahren 1981 und 1982 wurde der Kläger vom 13. Februar 1982 bis 12. September 1984 zunächst aufgrund vorläufiger Festnahme in der damaligen Tschechoslowakei und sodann aufgrund der Verurteilung u.a. wegen mehrfachen versuchten ungesetzlichen Grenzübertritts durch Urteil des Kreisgerichts P-Stadt vom 27. Mai 1982 (S St. - 221 - ) inhaftiert.

Während der Haft wurde der Kläger von dem Wachtmeister J (Spitzname: A) körperlich misshandelt. Im Rahmen der späteren Verurteilung dieses Vollzugsbediensteten u.a. wegen vorsätzlicher Körperverletzung traf das Landgericht C im Urteil vom 3. Juni 1999 (Az.: 22 KLs ) folgende den Kläger betreffende Feststellungen:

„… Herr H verweigerte die Arbeit und trat in einen Hungerstreik, weil ihm der Kontakt zu Familienangehörigen verwehrt worden war. Deswegen kam er im Herbst des Jahres 1983 in den Arrestbereich der StVE C.

Dort wurde J H zunächst vom Angeklagten und dem gesondert verfolgten Vollzugbediensteten H mit der Handfessel ...

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