Entscheidungsstichwort (Thema)

Schwerbehindertenrecht. GdB-Neufeststellung. Herabsetzungsbescheid. GdB-Absenkung vor Bekanntgabe. Rechtswidrigkeit des Gesamtbescheids. keine zeitliche Teilbarkeit. keine geltungserhaltende Reduktion. sozialrechtliches Verwaltungsverfahren. Auslegung einer zwischenzeitlichen Feststellung der Behörde zum "weiterhin geltenden" GdB. keine eigenständige GdB-Feststellung. sozialgerichtliches Verfahren. konsentierter Einzelrichter. Entscheidung über grundsätzlich bedeutsame Rechtssache. anhängige Verfahren beim BSG. gefestigte Rechtsprechung des LSG-Senats

 

Orientierungssatz

1. Ein Bescheid, mit dem eine begünstigende Feststellung im Schwerbehindertenverfahren ganz oder teilweise aufgehoben wird, ist nicht derart in zeitlicher Hinsicht teilbar, dass einer rechtswidrig früh einsetzenden Wirkung durch Aufhebung des Bescheides nur für einen Teilzeitraum Rechnung getragen und der Bescheid im Übrigen aufrechterhalten werden könnte.

2. Der konsentierte Einzelrichter kann auch über Rechtssachen von grundsätzlicher Bedeutung entscheiden, wenn beim BSG bereits mehrere Revisionsverfahren zur Klärung der streitentscheidenden Rechtsfrage anhängig sind und sich diesbezüglich bereits eine gefestigte Rechtsprechung des zuständigen Senats des LSG herausgebildet hat.

3. Die Auslegung einer zwischenzeitlichen bescheidmäßigen Feststellung der Behörde zum "weiterhin geltenden" Grad der Behinderung (GdB) kann ergeben, dass hiermit keine erneute eigenständige Feststellung eines GdB verbunden ist, welche der Herabsetzung des GdB durch einen späteren Bescheid entgegensteht.

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 21.12.2022; Aktenzeichen B 9 SB 3/20 R)

 

Tenor

Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Cottbus vom 12. November 2019 wird zurückgewiesen.

Der Beklagte hat der Klägerin deren notwendige außergerichtliche Kosten auch des Berufungsverfahren zur Gänze zu erstatten.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die 1957 geborene Klägerin wehrt sich gegen die Herabsetzung des bei ihr ursprünglich festgestellten Grades der Behinderung (GdB) von 50 auf nunmehr 20.

Mit Bescheid vom 20. April 2015 hatte der Beklagte bei der Klägerin unter Annahme einer Heilungsbewährungsdauer von 2 Jahren wegen einer Gewebeneubildung der linken Brustdrüse einen GdB von 50 festgestellt.

Im April 2016 beantragte die Klägerin die Heraufsetzung des GdB und Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen des Nachteilsausgleiches mit Merkzeichen G. Diesen Antrag beschied der Beklagte mit Bescheid vom 2. Juni 2016. Der Bescheid enthielt folgenden Tenor: „Der Grad der Behinderung (GdB) beträgt weiterhin 50. Ihr Antrag auf Feststellung eines höheren Grades der Behinderung (GdB) wird abgelehnt. Ihr Antrag auf Feststellung des Merkzeichens G „erhebliche Gehbehinderung“ wird abgelehnt.“.

Im Februar 2017 nahm der Beklagte den Ablauf der ursprünglich angenommenen Heilungsbewährungsdauer zum Anlass für die Einleitung eines Nachprüfungsverfahrens. Nach Beiziehung von Befundunterlagen und Beteiligung seines ärztlichen Dienstes sowie Anhörung der Klägerin erließ der Beklagte mit Datum vom 8. September 2017 einen Neufeststellungsbescheid mit dem Tenor: „Ein GdB von wenigstens 20 wird nicht mehr erreicht, somit entfällt der Feststellungsanspruch. Diese Entscheidung ist wirksam ab Bekanntgabe dieses Bescheides. Der Bescheid vom 20. April 2015 wird entsprechend aufgehoben.“

Auf den hiergegen eingelegten Widerspruch der Klägerin stellte der Beklagte weitere Ermittlungen an, in deren Ergebnis er nunmehr von einem GdB 20 ausging. Hierzu hörte er die Klägerin an und erließ sodann mit Datum vom 1. Oktober 2018 einen Widerspruchsbescheid, dessen Eingangsteil wörtlich lautete: „Auf Ihren Widerspruch gegen den Bescheid vom 8. September 2017 ergeht mit Wirkung ab 8. September 2017 folgende Entscheidung: Der GdB beträgt 20. Der Ausgangsbescheid vom 8. September 2017 wird insoweit aufgehoben. Sie gehören zum Personenkreis der Menschen mit Behinderungen. Ein Schwerbehindertenausweis steht Ihnen nicht zu.

Der Widerspruch ist im Übrigen zurückzuweisen. Die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen im Vorverfahren sind Ihnen zu einem Fünftel zu erstatten.“ Hierzu stellte der Beklagte folgende Funktionsbeeinträchtigungen fest und ging dabei verwaltungsintern von dem aus dem jeweiligen Zusatz ersichtlichen Einzel-GdB aus:

Psychische Minderbelastbarkeit (20),

Funktionsstörung der Wirbelsäule (20),

Asthma bronchiale (10),

Lungenfunktionseinschränkungen (10) sowie

Teilverlust der linken Brust (10).

Mit der am 15. Oktober 2018 erhobenen Klage hat die Klägerin die Aufhebung der Herabsetzungsentscheidung begehrt und hierzu im Wesentlichen vorgebracht, der Beklagte habe die bei der Klägerin bestehenden Gesundheitsstörungen nicht zutreffend bewertet. Mit Urteil vom 12. November 2019 hat das Sozialgericht den Neufeststellungsbescheid vom 8. September 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 1. Oktober 2018 aufgehoben und dem Beklagten die notwe...

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